Georg Hintzen/Wolfgang Thönissen, "Kirchengemeinschaft möglich? Einheitsverständnis und Einheitskonzepte in der Diskussion", Reihe "Thema Ökumene", Band 1. Bonifatius GmbH Druck – Buch – Verlag, Paderborn, 2001, Paperback, 136 Seiten, CHF 45.00, EUR 12.90, ISBN 3-89710-165-3.
Je näher sich die Kirchen durch die Verständigung in einstmals strittigen Fragen der Lehre kommen, desto dringlicher stellt sich die Frage nach der konkreten Gestalt einer künftigen Einheit der Kirchen. In diesem Buch werden verschiedene Konzepte der Einheit sowie das ihnen zugrunde liegende Kirchenverständnis erörtert. Im ersten Kapitel stellt Georg Hintzen die bisher im protestantischen Raum verwirklichten Formen kirchlicher Einheit dar: das Modell der "Organischen Union", das dem anglikanischen Denken entstammt, und das Modell der "Kirchengemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit", das aus dem lutherisch/reformierten Denken hervorging. Hintze nennt vier Bedingungen für eine "Organische Union": 1. Die Gemeinschaft im Bekenntnis des Glaubens. 2. Eine einheitliche Kirchenleitung. Sie soll gewährleisten, dass die vereinigten Kirchen ihre Entscheidungen wirklich gemeinsam treffen und als eine Kirche handeln. 3. Ein einheitliches Amt, das als Träger der Autorität des ganzen Leibes anerkannt wird. 4. Die Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst. Bei einer Vereinigung von Kirchen sollten alle Anstrengungen zu einem gemeinsamen Handeln in der Mission eng verbunden und koordiniert werden. Das Modell der Kirchengemeinschaft darf als Reaktion auf die dem Modell der Organischen Union innewohnende Tendenz verstanden werden, die konfessionellen Traditionen zu Gunsten einer neuen kirchlichen Identität einzuebnen. Grundanliegen einer Kirchengemeinschaft ist die Wahrung des konfessionellen Erbes der Kirchen. Bereits 1974 formulierten Vertreter der Christlichen Weltgemeinschaften ihre Haltung: "....Darum bedürfen Einheit und Gemeinschaft unter den Kirchen nicht notwendig der Einheitlichkeit des Glaubens und der Kirchenverfassung, sondern können und müssen der Pluralität oder Verschiedenheit der Überzeugungen und Traditionen Raum geben..." Volle Kirchengemeinschaft bedeutet demnach: 1. Gegenseitige Anerkennung der Kirchen als Kirchen, in denen die eine Kirche Jesu Christi in dieser Welt sichtbar wird. 2. Gegenseitige Anerkennung der Ämter und Austauschbarkeit der Amtsträger (Interzelebration). 3. Gemeinschaft im Gottesdienst und in den Sakramenten (communicatio in sacris). 4. Zusammenwirken der Kirchen auf allen Ebenen kirchlichen Lebens. Die Kirchengemeinschaft setzt zwingend die Übereinstimmung in den zentralen Aussagen der Lehre voraus.
Im zweiten Kapitel stellt Wolfgang Thönissen das katholische Einheitsverständnis vor und entwickelt ein "katholisches Konzept von Einheit und Kirchengemeinschaft". Nach ausführlicher Darstellung des Themas "Einheit" im Kirchenverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Aufzählung von Elementen des katholischen Einheitsverständnisses wendet sich Thönissen den Ansätzen katholischer Einheitsmodelle zu.
1. Die Einheit der Kirche und die Idee der Communio-Ekklesiologie (Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament). Das heisst das katholische Mysterium der Eucharistie umfasst die Verkündigung des Evangeliums im Bekenntnis des Glaubens der Kirche, die lebendige sakramentale Wirklichkeit der Kirche und die diesen beiden Grunddimensionen zugeordnete und von ihnen nicht zu trennende Dienstvollmacht des Amtsträgers, Jesu Christi Amt als Verkünder, Hirte und Priester stiftungsgemäss zu repräsentieren. Dieses Modell wird von evangelischer wie von orthodoxer Seite als "verdecktes katholisches Rückkehr-Modell" bezeichnet.
2. Das katholische Teilkirchen-Modell. Die "Einheit der Kirche" entspricht nach der Lehre des II. Vatikanums eine ihr korrespondierende Vielfalt von Ort- oder Teilkirchen. Das 1983 vorgelegte Modell von Karl Rahner und Heinrich Fries stützte sich bereits auf "regionale Teilkirchen", die weitgehend ihre bisherigen Strukturen beibehalten können, auf demselben Territorium weiter bestehen und sich durch eine Pluralität in Disziplin und Leben auszeichnen. Auch für das Teilkirchen-Modell verkörpert "der Bischof von Rom als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und Gläubigen." In dieser katholischen, kirchlichen Gemeinschaft gibt es "Teilkirchen, die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht." (Lumen gentium. Dogmatische Konstitution über die Kirche, Art. 13). Voraussetzung für die Verwirklichung eines derartigen Teilkirchen-Modells sind die Anerkennung des Primats des Papstes und die prinzipielle Klärung des Status von nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Die Diskussion über das Verhältnis zu den vom Römischen Apostolischen Stuhl getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften steht jedoch erst am Anfang. Die im Jahre 2000 von der vatikanischen Glaubenskongregation abgegebene Erklärung "Dominus Iesus" stellt die Frage des "unterschiedlichen ekklesialen Status" der jeweiligen Kirchen und Gemeinschaften unter Hinweis auf die Einzigartigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der (römisch-katholischen) Kirche offiziell "zur Diskussion". Dies ist übrigens der einzige Hinweis von Thönissen auf die umstrittene Erklärung "Dominus Iesus".
3. Das Teilhabe-Modell: Ein katholisches Modell von Kirchengemeinschaft. Die Idee der "vollständigen Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums", so Thönissen in seinem Beitrag, enthält drei miteinander zusammenhängende Teildimensionen, die für die Frage einer Verwirklichung von voller Gemeinschaft, Kirchengemeinschaft notwendig sind. Es geht um die Identität des "Christus-Mysteriums" im ekklesialen Lebenszusammenhang der Kirche. Je nach dem Grad ihrer sakramentalen Grunddimension könnten – zum Beispiel - von der römisch-katholischen Kirche getrennte Kirchen als "ekklesiale Einheiten" anerkannt werden. So entstünde ein Einheits-Modell, das nicht mehr auf der Vorstellung der korporativen Wiedervereinigung oder der Integration, schon gar nicht auf der Rückkehr beruht, sondern auf der Vorstellung der gegenseitigen Teilhabe am Christus-Mysterium. Mit einem solchen Modell käme das durch das Zweite Vatikanische Konzil angeregte sakramentale Kirchenverständnis auch ökumenisch zu seinem Ziel. Ob diese möglichen Konzepte verwirklicht werden können – so Thönissen im Schlusswort – muss von der römisch-katholischen Kirche in einem innerkatholischen Dialog zuerst geklärt werden. Das Buch bietet eine Fülle von Informationen über den aktuellen Stand und die verschiedenen Modelle der Einheitsbestrebungen in der Christenheit. Es lässt aber auch keinen Zweifel darüber offen, dass die römische Kirche bei all ihren Ökumene-Strategien, trotz angebotener Gesprächsbereitschaft, niemals auf das Primat und die Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenfragen des Papstes verzichten wird.
Christian B. Schäffler