Nach dem Kinobesuch bietet Theologieprofessor „Jungen Erwachsenen“ Gespräch über den umstrittenen Film an
Hannover – Eben noch Eis-Werbung und Handy-Reklame, und mit einem Satz ist man plötzlich mittendrin im Geschehen: „Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen“ – Schwarz auf Weiß steht das auf der Leinwand. Schnell wird der Griff in die Popcorn-Tüte zurückhaltender und der Bedarf nach Taschentüchern größer. „Ich habe geweint und bin immer noch total aufgewühlt“, sagt die 21-jährige Theologie-Studentin Hanna Bylinski, nachdem sie den Kinosaal verlassen hat. „Die Passion Chris-ti“ hat Spuren hinterlassen. „Ich wollte einfach wissen, ob der Film wirklich so schlimm ist, wie alle erzählen“, sagt Jörn Dettmar. Der Fachinformatiker und die Theologie-Studentin gehören zur katholischen Initiative „Junge Erwachsene“ in Hannover, die kulturelle und spirituelle Angebote für 20- bis 35-Jährige in ihrem Programm hat. Jetzt veranstaltete die Initiative in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung in der Region Hannover einen Gesprächsabend zu Mel Gibsons neuem Film, der bei den jungen Leuten die unterschiedlichsten Reaktionen hervorgerufen hat: „Ich dachte die ganze Zeit, hört doch endlich auf damit, auf ihn einzuprügeln!“, beschreibt jemand seine Gefühle während der Vorführung. Eine andere: „Mich hat der Film sehr geärgert. Ich halte Mel Gibson für einen gefährlichen Spinner!“ Der 20-jährige Jörn meldet sich zu Wort: „Am schlimmsten fand ich, dass die Leute um Jesus herum alle so hilflos waren.“ Eine ähnliche Stimme dazu aus einer anderen Ecke des Raumes: „Mir hat mein Herz stellenweise richtig weh getan“, sagt Martin Szymanski. „Durch den Film habe ich wieder neu begriffen, was es heißt Christ zu sein.“
Doch das sagt der 20-jährige nicht vor der großen Runde. Er steht ein wenig abseits der Gruppe, als er von diesen Eindrücken erzählt. „Bei manchen Szenen wollte ich sogar rausgehen, aber irgendwas hat mich zurückgehalten, selbst an der Stelle, als die Hände Jesu auf grausamste Weise von den Nägeln durchbohrt wurden. Irgendwie wollte ich einmal Jesu Leiden in seinem ganzen Ausmaß durchleben.“ Auch Martin konnte dabei nicht auf Taschentücher verzichten und schlecht war ihm auch, „obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, mit Abstand in den Film zu gehen“. Im Nachhinein ist dem Schüler klar: „Das geht gar nicht! Auch wenn der Film sehr brutal ist, so strahlt er doch Faszination aus.“
„Mich hat Mel Gibsons Film sehr an meine Kindheit mit Kreuzwegandachten und Marienwallfahrten erinnert“, sagt Professor Dr. Alois Stimpfle, Neu-testamentler an der Universität Hannover und Referent des Abends. „Die Passionsgeschichte ist ein Frömmigkeitsdrama, das den Zuschauer weniger informieren als vielmehr hineinziehen will in sein Geschehen. Die Menschen sollen richtig mitleiden, nicht nur seelisch sondern auch körperlich.“ Auf diese Weise werde „Die Passion Christi“ dem Tenor des Films „Durch sein Blut sind wir erlöst“ gerecht. Dieses Motto sei nicht nur bibeltheologisch „wunderbar getroffen“, sondern auch filmisch ungeheuer eindrucksvoll wiedergegeben, so Stimpfle. Ganz und gar nicht dieser Meinung ist Tim Krechting, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät: „In dem Film wird Gewalt plakativ dargestellt. Für mich ist das die reinste Gewaltpornografie!“ Aber Geißelung und Kreuzigung seien doch nun wirklich alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen, protestiert da jemand aus der Gruppe: „Warum also nicht so knallhart und realistisch darstellen, wie es tatsächlich gewesen sein könnte?“ Außerdem wolle Mel Gibson vielleicht auch die verschlafene Menschheit mit solchen gewalttätigen Szenen aufrütteln, sagt ein anderer. Und gleich noch einer: Grausame Szenen gebe es doch nun wirklich ohnehin ständig, warum also nicht auch in Form eines Kinofilms über Jesus und seinen Leidensweg? „Blicken wir doch nur mal nach Ruanda, wo es fast täglich grausame und menschenverachtende Massaker gibt! Das ist doch im Grunde nichts anderes. Und da protestiert niemand!“ Schweigen im Saal, nachdenkliche Blicke. Dann meldet sich noch einmal der Theologe zu Wort: „Der Film nimmt ganz einfach die Bibel und ihre Formulierungen wörtlich und spricht in ganz konkreten Bildern zu uns. Vielleicht ist vielen genau das so unheimlich, weil sie sich von Mel Gibson provoziert fühlen.“
Ulrike Sellmer
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