Zum Auftakt der Sommer-Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) in Basel stellte Ratspräsident Thomas Wipf grundsätzliche Anfragen zu den religionspolitischen Herausforderungen in der Schweiz, insbesondere an den Dialog mit den muslimischen Partnern.
An der vom 17.-19. Juni im Basler Rathaus tagenden SEK-Abgeordnetenversammlung nehmen 70 Abgeordnete der Mitgliedskirchen teil. Zu den Gästen zählen Präsident der Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC), Nyansaku-ni-Nku, und die Schweizer Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi-Obrist.
Das reformierte Kirchenparlament beschäftigt sich unter anderem mit der Verfassungsrevision des SEK sowie mit der von den SEK-Mitgliedskirchen entwickelten Vision "Zukunft Kirche". Laut dem Papier soll in den kommenden Jahren vor allem das reformierte Verhältnis von Mission und Evangelisation geklärt werden.
Im Wort des SEK-Ratspräsidenten an die Delegierten forderte Pfarrer Wipf im Dialog mit dem Islam zu unverzichtbarer Transparenz und Offenheit auf. "Für unser Land bedeutet der Beitrag von Menschen muslimischer Herkunft eine wichtige Bereicherung", so Wipf. Nach einer gewissen Zeit der multikulturellen Romantik stellten sich nun aber auch manche grundsätzliche Fragen. Dabei gehe es darum, festzustellen, „welches die Grundwerte und Grundhaltungen sind, die wir nicht aufgeben können und wollen.“
Die Religionsfreiheit sei ein zentraler Wert für die christlichen Kirchen und die Schweiz, betonte der Theologe. In dem Zusammenhang hätten viele Menschen ein Verständnis dafür, dass die islamischen Kultur- und Moscheevereine "aus der Unsichtbarkeit der Garagen, Hinterhöfe und Fabrikhallen in die Sichtbarkeit der Öffentlichkeit treten möchten."
Es gebe jedoch auch sensible Punkte, die einen vertieften Dialog mit den muslimischen Partnern fordere, sagte Wipf. Eine wichtige Frage sei die Unterscheidung von Politik und Religion. "Nach unserer Auffassung hat der Staat keine Religion. Er soll nicht Hüter der Wahrheit, sondern Hüter der Freiheit sein." Die religiöse Neutralität des Staates, das Primat des säkularen Rechts und auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau seien nicht verhandelbar.
Zudem müsse für alle Menschen das Recht auf freie Religionswahl gelten. "Mit grosser Sorge" erfülle es Wipf, dass Christen in vielen islamischen Ländern nur in eingeschränkter Form ihren Glauben leben können. Die Religionsfreiheit beanspruche als Menschenrecht universale Geltung. Dies gelte für Muslime in der Schweiz genauso wie für Christen in islamischen Ländern.
Der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften in der Schweiz funktioniere auf vielen Ebenen, so resümierte Wipf. So soll auch der im Mai 2006 gegründete Schweizerische Rat der Religionen (SCR), dessen Initiant und Vorsitzender Wipf ist, einen Beitrag zum Erhalt des religiösen Friedens in der Schweiz leisten und Verständigung und Vertrauensbildung zwischen den Verantwortlichen der Religionsgemeinschaften fördern. Nach Ansicht von Wipf könne die bisherige Tätigkeit des SCR "vorsichtig positiv" beurteilt werden. Es sei jedoch nicht klar, ob interreligiöse Gesprächsforen für die muslimischen Gesprächspartner auch dann eine Bedeutung hätten, wenn sie nicht nur den eigenen Anliegen nützten. So habe der Rat der Religionen erst aus der Sonntagspresse von den Plänen für ein grosses islamisches Zentrum in Bern erfahren.
Zum Schluss rief Wipf zum transparenten Dialog und zur gemeinsamen Arbeit an einer friedlichen Zukunft auf. Wie die christlichen Kirchen weiterhin bereit sind, die Anliegen der muslimischen Gesprächspartner aufzunehmen, erwarten sie auch die umgekehrte Bereitschaft. "Jedoch: Das Gemeinsame ist stärker als das Trennende. Das Gemeinsame hält auch kritische Fragen aus."
Der SEK-Ratspräsident Thomas Wipf (61) ist nicht nur der "oberste Reformierte" der Schweiz, sondern ist auch Geschäftsführender Präsident der "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa" (GEKE). In der GEKE – Leuenberger Kirchengemeinschaft haben sich 105 protestantische Kirchen in Europa (und in Südamerika) zusammen geschlossen. Diese lutherischen, reformierten, unierten, methodistischen und hussitischen Kirchen gewähren einander durch ihre Zustimmung zur Leuenberger Konkordie von 1973 Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.