"Die Gesellschaft braucht Christen". Diese Einsicht stand im Mittelpunkt der Delegiertenversammlung des "Regionalverband Deutschschweiz" der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) am 15. Juni in Aarau. Sich aus der Gesellschaft in die Kirche zurückzuziehen, sei falsch. Christinnen und Christen müssten sich vermehrt in die Wirtschaft, Politik und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einbringen.
Der Soziologe Olivier Favre, Teilzeitmitarbeiter am "Observatoire des Religions en Suisse" in Lausanne, wies in seinem Themenbeitrag zu "Evangelium und Gesellschaft" auf die religiöse Entwicklung in der Schweiz hin. Das Interesse an Religion habe weiter zugenommen, die meisten Leute in der Schweiz pflegten in irgendeiner Form das Gebet (80 Prozent). Hingegen gingen gemäss einer Studie nur noch 10 bis 15 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer in die Kirche oder lesen in der Bibel.
Der grösste Teil der Menschen sei jedoch religiös offen für Verschiedenes, suche spirituelle Erfahrungen und zeige sich tolerant, so Favre. Die Chance für die biblische Botschaft liege dort, wo Gemeinden und Kirchen es schafften, an den Bedürfnissen der Menschen anzuknüpfen. Dabei zählten die Gefühle und die Möglichkeit des Experimentierens. "Die Leute wollen nicht zuerst Botschaften hören, sondern etwas erleben", so Favre. Es sei deshalb einleuchtend, dass besonders pfingstlerisch-charismatische Kirchen und Gemeinschaften in der Schweiz Wachstum zu verzeichnen hätten. Favre, der selbst als Seelsorger in einer solchen Gemeinde arbeitet, ist überzeugt, dass die Freikirchen in der Schweiz wachsen werden. Heute gebe es derzeit in der Schweiz rund 1.500 evangelisch-freikirchliche Gemeinschaften und Gemeinden.
Der freisinnige Nationalrat Werner Messmer rief die Christen dazu auf, Hoffnungsbringer zu sein. Es sei nicht wahr, dass ein Vakuum entstehe, wenn Christen sich aus der Gesellschaft zurückzögen. Die Lücke werde einfach von anderen Leuten gefüllt. Messmer plädierte vor der SEA-Delegiertenversammlung eindringlich für ein stärkeres Engagement der Christinnen und Christen in Wirtschaft und Politik: "Raus aus den Kirchen, die Gesellschaft braucht Christen", war seine Botschaft.
Trotz Wohlstand in der Schweiz hätten die Menschen Probleme: In Sachen Scheidungen, Suizide und Süchte stünde die Schweiz in Europa an vorderster Stelle. Die Ängste der Leute seien gross. "Wer viel zu verlieren hat, hat am meisten Angst", sagte Messmer im Blick auf die Beschäftigung und die Sicherheit. Christen hätten den Auftrag den Menschen die Botschaft der Hoffnung zu bringen, jeder an seinem Ort.
In der anschliessenden Geschäftssitzung wurde die Aargauerin Brigitte Müller-Kaderli als neues Mitglied in den Zentralvorstand der SEA-Deutschschweiz gewählt. Aus dem Zentralvorstand verabschiedet wurde nach acht Jahren Mitwirkung Marit Studer, (Wettingen). Vorzeitig zurückgetreten ist aus familiären Gründen der Ökonom Thomas Guiduci (Basel). Der Geschäftsbericht des SEA-Regionalverband Deutschschweiz (DS) und deren ausgeglichene Jahresrechnung 2006 wurden von den Delegierten einstimmig genehmigt.
Die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) ist eine Bewegung von Christinnen und Christen aus reformierten Landeskirchen, evangelischen Freikirchen und christlichen Organisationen. Sie besteht gesamtschweizerisch aus 78 lokalen Sektionen mit rund 550 Gemeinden und über 100 christlichen Organisationen. Kenner schätzen die Basis der SEA auf rund 250 000 Personen.
Die SEA sieht sich einem dreifachen Auftrag verpflichtet: Die Zusammenarbeit unter evangelischen Christen zu fördern, für sie eine Stimme in der Gesellschaft zu aktuellen Fragen zu sein und die Gute Nachricht öffentlich zu machen.