Der brasilianische Pfarrer und der lutherische Theologe, Walter Altman, erinnerte als Vorsitzender des noch bis zum 20. Februar in Genf tagenden Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) an das Hauptziel, das sich der ÖRK in seiner Verfassung gesetzt habe: "einander zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft aufzurufen" sowie die Einheit gemeinsam "durch Zeugnis und Dienst an der Welt" zum Ausdruck zu bringen.
Nach Altmanns Worten stehe der ÖRK, sechzig Jahr nach seiner Gründung, am Anfang eines Weges, "den wir gemeinsam in Dankbarkeit für Gottes wunderbare Gabe der Einheit gehen werden."
"Auf dieser Tagung feiern wir das 60-jährige Bestehen des ÖRK. Aber wir feiern gewiss nicht, um die Existenz des ÖRK zu beklatschen, sondern um uns an das Erbe zu erinnern, das uns unsere Vorgänger hinterlassen haben", so der Vorsitzende des Zentralausschusses.
Bereits während der ersten ÖRK-Vollversammlung 1948 in Amsterdam sei die missionarische Perspektive klar formuliert worden: Wir "bitten Gott, er möchte seine ganze Kirche dazu aufwecken, dass sie seine frohe Botschaft der ganzen Welt bekanntmacht und alle Menschen aufruft, an Christus zu glauben, in seiner Liebe zu leben und auf sein Kommen zu hoffen." Bei aller Bereitschaft zur Reue über verpasste Gelegenheiten oder Umwege auf der ökumenischen Reise sei nun vor allen Dingen Ausdauer gefragt. Altmann wörtlich: "Der Heilige Geist möge uns die Gabe der Beharrlichkeit und den festen Willen schenken, unseren Weg weiterzugehen."
Als Erfolg für das "tiefe Verlangen" nach Einheit, das die ökumenische Bewegung seit ihrer Gründungszeit antreibe, verbucht Altmann, "dass die Notwendigkeit der Einheit heute nicht nur von unseren Kirchen, sondern auch von evangelikalen und Pfingstkirchen anerkannt wird". Ein weiterer "wichtiger Erfolg der ökumenischen Bewegung" sei, so der brasilianische Theologe, dass alle Kirchen heute die Überzeugung teilten, "dass theologischer Dialog, Mission und Diakonie integraler Bestandteil des Kircheseins sind".
Der lutherische Theologe erinnerte in seinem Bericht auch daran, dass das Verständnis des ÖRK von der Kirche, den Kirchen und ihren Beziehungen zum Weltkirchenrat in der Toronto-Erklärung des Zentralausschuss von 1950 klar festgehalten werde: Der ÖRK sei keine Über-Kirche; kein Instrument, um Unionsverhandlungen zwischen den Kirchen in die Wege zu leiten und auch keine Organisation, die eine besondere Auffassung von der Kirche vertrete. Mitglied des ÖRK zu sein bedeute auch nicht, dass eine Kirche ihre eigene Auffassung von der Kirche relativiere oder dass sie eine bestimmte Lehre über das Wesen der kirchlichen Einheit annehme.
Grundsätzliche, kritische Fragen – etwa ob die ökumenische Bewegung ihre Leidenschaft durch zu routinierte Professionalität gefährde – müsse man als Herausforderung annehmen, betonte der Vorsitzende. Auf der "gemeinsamen Pilgerreise", so Altmann, seien im ÖRK selbst aber auch ausserhalb viele Fragen gestellt und Zweifel zum Ausdruck gebracht worden: Wie gemeinsam ist unsere Pilgerreise denn in Wirklichkeit? Inwieweit haben wir uns in unseren konfessionellen oder institutionellen Grenzen verschanzt? Ist es nicht so, dass wir Erklärungen über Erklärungen abgeben, zugleich aber nicht oder nur kaum bereit sind, diese Erklärungen mit Leben zu füllen? Zügeln wir nicht das heilige Drängen der Laien weiterzugehen? Ist unsere prophetische Stimme nicht schwächer geworden?
Der Vorsitzende stellte in den Schlussbemerkungen seines Berichts auch die Frage: "Hören wir wirklich, was uns der Heilige Geist bezeugt und offenbart, oder wiederholen wir nur das, was wir schon immer gesagt haben?" Ferner weist er darauf hin, dass sich die religiöse Landschaft überall in der Welt ständig und tiefgreifend verändere. Länder, die man früher "christliche" Länder nannte, säkularisierten sich zunehmend. Andere, nicht ökumenisch ausgerichtete Kirchen und Bewegungen wüchsen und breiteten sich aus. Auch hier gelte es Frage zu stellen: Besitzen sie eine Vitalität, die uns verloren gegangen ist? Ist ihr missionarischer Eifer grösser als unserer? Haben sie die Zeichen der Zeit erkannt und gehen auf sie ein, während wir blind sind? "Dies sind Fragen, die an die Substanz gehen“, so Altmann. "Wir können die Frage nicht einfach mit der Begründung ignorieren, es handele sich lediglich um Vorurteile anderer. Sie alle enthalten ein Körnchen Wahrheit. Und wir sollten sie aufmerksam anhören und als Herausforderung begreifen."
Pfarrer Dr. Walter Altmann ist seit 2002 Präsident der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) sowie Mitglied des Lateinamerikanischen Kirchenrates (CLAI) und des Exekutivekomitees des Lutherischen Weltbundes (LWB). Seine wissenschaftlichen Werke beschäftigten sich mit dem Reformator Martin Luther, der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und ökumenischen Studien.