Pastor Michail P. Kulakow, einer der Leiter der in der Sowjetunion lange verbotenen Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, ist am 10. Februar im Alter von 83 Jahren an einem Gehirntumor verstorben. Kulakow wurde als Sohn eines adventistischen Pastors 1927 in Leningrad geboren. Sein Vater wurde 1935 verhaftet und nach Ostsibirien verbannt. Als Michail 1948 zusammen mit seinem Bruder Stefan wegen seines Glaubens verhaftet wurde, befand sich der Vater erneut in einem Zwangsarbeitslager. Stefan starb mit 32 Jahren in der Verbannung, Michail kam nach fünf Jahren aus der Zwangsarbeit frei und wurde nach Nordkasachstan verbannt. Dort lernte er seine Frau Anna, eine Lehrerin, kennen. 1953 heirateten sie. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor, die Pastoren sind, und drei Töchter, die Pastoren geheiratet haben. Michail P. Kulakow starb in Highland, Kalifornien/USA, und hinterlässt neben Ehefrau Anna und seinen Kindern 15 Enkel und vier Urenkel.
Kulakow wurde nach Aufhebung seiner Verbannung 1955 als Hilfspastor nach Alma-Ata (heute: Almaty) in Kasachstan berufen. Er hielt dort heimlich Gottesdienste und arbeitete zur Tarnung in einer Baubrigade und als Fotograf. 1958 wurde er als Pastor ordiniert und übernahm noch im gleichen Jahr nach Verurteilung des bisherigen Leiters zu acht Jahren Zwangsarbeit die Verantwortung für die Adventisten in den zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Kirgisien. 1961 und 1962 kam es zu mehreren öffentlichen Schauprozessen gegen Kulakow, sodass er nur durch mehrere Umzüge einer Verhaftung entgehen konnte.
Nach der Machtergreifung der Kommunisten in Russland im Jahr 1917 hatten die nicht orthodoxe Kirchen mehr Freiheit, sich zu betätigen, als während der Zarenzeit. Doch 1929 änderte Stalin seine Religionspolitik. Bis auf zwei wurden alle 150 adventistischen Pastoren sowie 3.000 Gemeindemitglieder verhaftet und verbannt. Alle adventistischen Gemeinden in der Sowjetunion liess der Staat schliessen. Nur die Adventgemeinde in Moskau blieb als "Vorzeigegemeinde" offen. Die Kirchenleitung der Adventisten wurde zerschlagen, und die Gemeinden feierten ihren Gottesdienst im Untergrund. Erst ab Mitte der 1940er Jahre liess der Staat wieder als Kirchenleitung den "Allunionsrat der Siebenten-Tags-Adventisten in der UdSSR" mit Sitz in Moskau zu. Dieser wurde jedoch im Dezember 1960 erneut vom Staat aufgelöst. Im gleichen Jahr hatte der Präsident der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Adventisten, Pastor R. R. Figuhr (Washington D. C./USA), versucht, als Tourist Kontakt mit dem Allunionsrat in Moskau aufzunehmen.
Kulakow sprach Russisch, Deutsch und Englisch. Er beherrschte auch die biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch. 1970 durfte er Verwandte in San Franzisko besuchen und lernte dabei auch die Leiter der Generalkonferenz kennen. Als 1974 Pastor Theodore Carcich, Vizepräsident der Weltkirchenleitung, als Tourist Moskau besuchte, war Kulakow sein Dolmetscher. Ihm gelang es, ein Gespräch mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des staatlichen Rates für religiöse Angelegenheiten zu vermitteln, sodass die Behörden die Genehmigung erteilten, dass sieben Adventisten aus der Sowjetunion an der Generalkonferenz-Vollversammlung (Weltsynode) 1975 in Wien teilnehmen konnten. Unter ihnen war auch Kulakow.
Die russischen Pastoren wählten Kulakow 1975 als ihren "leitenden Pastor". Im Gespräch mit den Behörden erreichte er, dass 1978 der damalige Präsident der Generalkonferenz, Pastor Robert Pierson, ganz offiziell Adventgemeinden in der Sowjetunion besuchen und dort predigen konnte, wobei Kulakow übersetzte. 1980 erhielten die Adventisten vom sowjetischen Staat die Genehmigung zum Druck von 10.000 Bibeln. Ab 1985 duldeten die Behörden, dass sich die Adventisten mit ihren Kirchenleitungen auf verschiedenen Ebenen wieder zu organisieren begannen. 1987 erhielten sie die Genehmigung zum Bau eines Theologischen Seminars in Zaokski, 120 Kilometer bei Tula. Die Einweihung konnte bereits am 2. Dezember 1988 gefeiert werden. 1992 erlangte das Seminar die staatliche Anerkennung für seine Abschlüsse in Theologie, Kirchenmusik und Betriebswirtschaft.
1991 entstand auf dem Gelände des Seminars ein Verlagsgebäude. Bereits ein Jahr vorher konnte mit staatlicher Genehmigung die Euro-Asien Abteilung in Moskau als Kirchenleitung der Siebenten-Tags-Adventisten in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet werden, die Teil der adventistischen Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) ist. Kulakow war ihr erster Präsident. Im September 1990 nahm Pastor Kulakow zusammen mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Alexius II. vor dem Obersten Sowjet zum neuen Religionsgesetz Stellung. Er trat dabei als Repräsentant der protestantischen Kirchen des Landes auf.
Im Alter von 65 Jahren trat Kulakow 1992 vom Amt des Kirchenleiters zurück, um sich einer neuen Aufgabe zu widmen. Die in Russland gebräuchliche Synodalübersetzung der Bibel stammt aus dem Jahr 1875 und ist in der Sprache veraltet. Deshalb gründete Kulakow am Theologischen Seminar in Zaokski 1993 ein "Institut für Bibelübersetzung" Sein Ziel: zusammen mit überwiegend nichtadventistischen Christen eine neue, moderne russische Bibelübersetzung zu erarbeiten. Im Jahr 2000 kam das "Neue Testament in modernem Russisch" heraus, das hohes Ansehen geniesst. 2002 erschienen die Psalmen. Noch im letzten Jahr arbeitete Kulakow zusammen mit fünf Wissenschaftlern, deren Mehrheit der russisch-orthodoxen Kirche angehört, an der Übersetzung des Alten Testaments, das 2015 fertiggestellt sein soll.
Kulakow übersiedelte im Dezember 2000 nach Kalifornien. 2008 veröffentlichte er mit Maylan Schurch als Koautor seine Biografie "Though the Heavens Fall", die ein Jahr später im Advent-Verlag Lünbeburg in deutscher Sprache unter dem Titel "Gott sitzt am längeren Hebel. Die Erfahrungen der Familie Kulakow unter der sowjetischen Herrschaft" erschien.