Das Verfahren Lautsi gegen die Republik Italien, bei dem eine Mutter das Kruzifix im Klassenzimmer ihrer Kinder in einer öffentlichen Schule als eine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit empfand und forderte, dass es entfernt werden müsse, ist mit dem Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) am 18. März endgültig entschieden worden.
Demnach widerspreche ein Kruzifix in den Klassenräumen einer öffentlichen Schule dem Recht der Eltern auf Erziehung nicht, wie die römisch-katholische Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) in einer Stellungnahme zum Urteil schrieb. „Der Gerichtshof erkennt zu Recht an, dass das Fehlen ‚eines Europäischen Konsens bezüglich der Präsenz religiöser Symbole in staatlichen Schulen‘ bei der Beurteilung des vorliegenden Falles berücksichtigt werden muss“, teilte die Kommission mit.
Die Richter hätten festgehalten, dass das Kruzifix an öffentlichen Schulen in Italien nicht gegen die Religionsfreiheit und damit auch nicht gegen die Menschenrechte verstosse, da es die Schüler nicht beeinflusse, erläuterte Dora Bognandi Pellegrini, Abteilungsleiterin für Religionsfreiheit der italienischen Adventisten: „Das Urteil setzt einen Schlussstrich unter die Geschichte eines Symbols, das während Jahren viel Opposition hervorgerufen und nichts mit dem biblischen Jesus zu tun hat. Jesus hat seine Gegenwart nie jemandem aufgedrängt“, sagte die Expertin für Religionsfreiheit. Christus habe sogar seine Jünger dafür gerügt, als diese sich empört hätten, weil seine Anwesenheit in einem Dorf unerwünscht gewesen sei.
Laut Bognandi blende man in der ganzen Angelegenheit aus, dass das Kruzifix als Machtsymbol in der Vergangenheit eine blutige Spur bei Ungläubigen, Juden, Andersgläubigen, Freidenkern und Frauen, die der Hexerei bezichtigt worden seien, hinterlassen habe. „Es wurde nicht einmal in Betracht gezogen, dass die Schule ein Haus für alle ist, unabhängig vom Glauben der Mehrheit“, betonte die Expertin. „Das Entfernen eines religiösen Symbols bedeutet deshalb nicht Verarmung, sondern ist eine Bereicherung auf dem Weg zum Pluralismus.“
Seit 1984 gebe es in Italien keine Staatsreligion mehr, erläuterte Bognandi. Es mache deshalb keinen Sinn, in einer auf religiösem Gebiet zunehmend pluralistischen Gesellschaft nur das Symbol einer einzigen christlichen Konfession darzustellen.
Die Italienische Union der Christlichen Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Chiesa Cristiana Avventista del Settimo Giorno) setze sich entschieden für die Wahrung der Grundsätze der Religionsfreiheit ein. Dazu gehöre auch die Förderung der allgemeinen Toleranz durch Wahrung der Rechte des Einzelnen, seinen Glauben und seine Überzeugung öffentlich oder privat zu vertreten, betonte Dora Bognandi Pellegrini.
Seit 1864 gibt es in Italien Siebenten-Tags-Adventisten. Die evangelische Freikirche zählt dort über 9.000 erwachsen getaufte Mitglieder in 108 Kirchengemeinden. Zu ihren Einrichtungen in Italien gehören die Theologische Hochschule „Villa Aurora“ (Florenz), das Verlagshaus ADV (Impruneta bei Florenz), ein Altenheim (Forli) sowie zwei Jugendgästehäuser (Poppi und auf Sizilien). Seit 1979 betreiben die Adventisten in enger Zusammenarbeit mit Adventist World Radio (AWR) auch neun lokale UKW-Radiosender. Medienzentren mit Aufnahmestudios für Radioprogramme befinden sich in Florenz und Rom. Seit 2006 haben die Adventisten einen Beobachterstatus in der Vereinigung der Evangelischen Kirchen in Italien (FCEI).