War Petrus in Rom? Dieser Frage geht der Göttinger Kirchenhistoriker Professor Dr. Peter Gemeinhardt im “Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts” nach (MD 4/2011). Er stellt fest: “In der kirchengeschichtlichen Forschung – römisch-katholischer wie evangelischer Provenienz – wurde daran in den letzten Jahrzehnten kaum gezweifelt. Zwar wird Petrus’ Tod im Neuen Testament weder für Rom noch überhaupt eindeutig bezeugt, doch existieren seit dem 2. Jahrhundert dazu schriftliche Traditionen und auch eine archäologisch nachweisbare Verehrung.”
Kürzlich habe jedoch der Philologe Otto Zwierlein diesen Konsens mit beachtlichen Gründen infrage gestellt: Petrus sei nie in Rom gewesen und insofern auch nicht der Begründer des römischen Bischofsamtes und des Papstamtes. Diese historische These hätte, so Gemeinhardt, erhebliche Auswirkungen auf die Begründung heutiger Ansprüche auf einen “Petrusdienst” des Papstes für die christlichen Kirchen. Während der katholische Dogmatiker Wolfgang Klausnitzer 2004 meinte, dass es theologisch nicht grundstürzend, aber “historisch und unter der Perspektive der moralischen Glaubwürdigkeit schon sehr misslich (wäre), wenn sich nachweisen liesse, dass Petrus nie in Rom gewesen war”, bescheinigt Gemeinhardt dieser Frage eine hohe konfessionskundliche Relevanz, denn “in Frage stehen nicht nur historische Details, sondern – zugespitzt formuliert – die Grundpfeiler der römisch-katholischen Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) und Primatslehre (Lehre vom Papstamt)”.
Entsprechend heftig wären erste römisch-katholische Reaktionen auf Zwierleins Thesen ausgefallen. Die Sichtung aktueller Publikationen führt Peter Gemeinhardt dazu, die Fragestellung zu modifizieren: “Es wäre also historische, philologische und archäologische Arbeit und insofern Theologie zu treiben, anstatt durch alte oder neue Traditionskonstruktionen einen Gegensatz zwischen geglaubter und erforschter Wahrheit aufzurichten. Eine Petrustradition, auf der man eine ganze Ekklesiologie aufbauen könnte, wird sich daraus kaum ergeben. Was aber unter diesen Vorzeichen ein ‘Petrusdienst’ damals war und heute sein könnte – das ist eine spannende und durchaus offene Frage.”