In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens können homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer in Zukunft in Ausnahmefällen gemeinsam mit ihren Partnerinnen und Partnern im Pfarrhaus leben. Dem Beschluss der Kirchenleitung vom 21. Januar war eine umfangreiche Untersuchung einer Arbeitsgruppe vorausgegangen, die sich mit Homosexualität in biblischem Verständnis befasst hatte. Die Expertenkommission war sich einig, dass Homosexualität ein Teil der Persönlichkeit sei, die den ganzen Menschen bestimme und nicht auf den Bereich der Sexualität einzugrenzen sei.
Um zu einer theologischen Bewertung der Homosexualität zu gelangen, unterschied die Arbeitsgruppe zwischen primären und sekundären abgeleiteten Schöpfungsordnungen. Zur primären Schöpfungsordnung gehöre das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf. Sekundäre Schöpfungsordnungen beschrieben dagegen, wie das Zusammenleben in Ehe einschliesslich Sexualität, Familie, Beruf, Recht, Wirtschaft und Staat gestaltet werde. Diese zweiten Schöpfungsordnungen unterlägen bereits innerhalb der Bibel einem geschichtlichen und kulturellen Wandel. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe konnten sich jedoch nicht einigen, ob Homosexualität diesem zweiten Bereich der Schöpfungsordnungen zugeordnet werden könne.
Ebenso blieb in der Arbeitsgemeinschaft die Frage strittig, ob gelebte Homosexualität grundsätzlich Sünde sei. Die eine Position beurteile jede gelebte Homosexualität, auch in einer verbindlichen Partnerschaft, als Sünde. „Der durch Christus befreite Geist eröffnet nicht die Freiheit, gegebene Schöpfungsordnungen beiseite zu schieben“, notierte der Abschlussbericht diese Sichtweise. Dagegen sah die andere Position nicht in einer homosexuellen Partnerschaft an sich Sünde, sondern nur in verantwortungslosem Verhalten und Untreue. Die Vertreter der zweiten Position verwiesen auf Christus als die Mitte der Bibel. Alttestamentliche Gesetzesvorschriften müssten vom Geist Christi her beurteilt werden: „Diese in Christus gründende Freiheit hat auch Auswirkungen auf das Bibelverständnis. Eine ‚am Buchstaben‘ orientierte Beurteilung homosexueller Lebensweise muss sie kritisch sehen: ‚Wir aber sind Diener des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig‘ (2. Korinther 3,6).“
Ausdrücklich erkannten die Vertreter der beiden gegensätzlichen Positionen der jeweils anderen Seite zu, ihre Sicht aus der Bibel abgeleitet und das reformatorische Prinzip „sola scriptura“ (allein die Heilige Schrift) gewahrt zu haben. Daher könne letztlich nur das Gewissen jedes Einzelnen entscheiden. Die Beurteilung von Homosexualität sei keine Bekenntnisfrage, weil sie die Erlösung durch Christus nicht in Frage stelle, stellte die Arbeitsgruppe übereinstimmend fest.
„Differenzen im Schriftverständnis gehören seit langem zu unserer kirchlichen Realität; und so wird in der Frage der Bewertung der Homosexualität erneut deutlich, dass uns kein Kriterium zur Verfügung steht, um in allen Streitfragen ein Einvernehmen zu erzielen“, erklärte Landesbischof Jochen Bohl. Homosexuell geprägte Menschen werde man in der Kirche als Schwestern und Brüder im Glauben akzeptieren. „Weil das Liebesgebot Jesu umfassend allen Menschen gilt, haben sie einen Anspruch darauf, zu ihrem Person-Sein stehen zu können, ohne pauschale Verurteilungen fürchten zu müssen“, betonte der Landesbischof.
Die sächsische Landeskirche hatte sich im Jahr 2001 als Reaktion auf die Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegen das Zusammenleben homosexueller Pfarrerinnen und Pfarrer im Pfarrhaus ausgesprochen. In der Zwischenzeit sei allerdings insbesondere in Grossstädten Homosexualität auf eine grössere Akzeptanz gestossen und werde als selbstverständlich wahrgenommen, resümierte Bohl. Homosexuelle Vikare hätten offen nach einer beruflichen Perspektive in der Landeskirche gefragt. Den elf Jahre alten Beschluss habe man daher überdenken müssen. „Allerdings ist es Ausdruck der Zerrissenheit der Landeskirche in dieser Frage, dass andere wiederum ihn bedeutsamer denn je finden, weil sie in den dargestellten Verschiebungen eine Abkehr von biblischen Normen sehen“, so Bohl. Als Kompromiss beider Sichtweisen hielt die Kirchenleitung grundsätzlich an der Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften im Pfarrhaus fest. Allerdings ermöglicht sie mit der neuen Regelung nun Ausnahmen von dem Verbot. Voraussetzung für das Zusammenleben im Pfarrhaus sei, dass die Partnerschaft eingetragen sei und der Kirchenvorstand einmütig zustimme. Jeder Einzelfall müsse vom Landeskirchenamt zusammen mit dem Landesbischof genehmigt werden.