"Das Ökumenekonzept der Evangelischen Allianz hat es mit drei speziellen Herausforderungen zu tun, die sich unter den Stichworten Konfessionalismus, Nominalismus und Liberalismus zusammen fassen lassen," schreibt Pfarrer Dr. Rolf Hille, einer der führenden Evangelikalen auf deutscher und internationaler Ebene, in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "evangelikale Theologie" (Heft 18/2).
Hille ist seit 2008 auch Direktor für ökumenische Angelegenheiten der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA). Die Evangelische Allianz sei in der neueren Kirchengeschichte der erste grosse ökumenische Impuls mit dem Versuch, zumindest der Zersplitterung innerhalb der evangelischen Kirchen entgegen zu wirken, so Hille. "Statt des Streites um einzelne dogmatische Fragen gingen die Gründer der Evangelischen Allianz vor allem von der Einheit im Glauben an Jesus Christus aus" hält der Theologe fest. In der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz habe man die grundlegenden biblischen Wahrheiten festgehalten, die für die Identität evangelischen Christseins unverzichtbar seien.
Kein blosses Namenschristentum
Ein weiteres Spezifikum der Evangelischen Allianz sei in der Tradition von Pietismus, Methodismus und Baptismus die Betonung der Bekehrung und der Wiedergeburt. Christ werde man, so Pfarrer Hille, nicht durch blosse Kirchenmitgliedschaft, auch nicht lediglich durch den Empfang der Taufe oder die Teilnahme an einer Konfirmation, sondern durch die persönliche Hinwendung zu Jesus Christus im Glauben. Solcher Glaube solle sich dann in der persönlichen Lebensgestaltung als Nachfolge Jesu bewähren. Die Evangelische Allianz setze sich damit deutlich vom sogenannten "Normalismus", also vom blossen Namenschristentum, ab.
Allianz steht zum reformatorisches "Allein die Schrift" (sola scriptura)
Die Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, die ein wesentlicher Hintergrund der evangelikalen Bewegung sei, wurden durch die Opposition zum neuprotestantischen Liberalismus gekennzeichnet, stellt Hille fest. Gemeint sei damit, die Beurteilung der Bibel als lediglich einer unter vielen Traditionen. Hille wörtlich: "Der so genannte Neuprotestantismus sucht den Kanon im Kanon, d.h. er fragt nach den Bibeltexten, die heute noch für das moderne Wahrheitsbewusstsein akzeptabel sind. Dem stellt die Evangelische Allianz in Übereinstimmung mit der Reformation das 'Allein die Schrift' gegenüber."
Aus der Abgrenzung gegenüber dem Konfessionalismus, Nominalismus und Liberalismus ergebe sich eine kritische Distanz zu herkömmlichen kirchlich-theologischen Traditionen. Der evangelische Theologe betont weiter: "Wichtig ist den Evangelikalen vielmehr, sich durch persönliche Frömmigkeit und Heiligung des Lebens sowie durch eine biblische Theologie hervorzutun." Die evangelikale Bewegung überwinde die Spaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionskirchen und theologische Schulrichtungen, weil sie nach dem zentralen Gehalt des christlichen Glaubens als der massgeblichen ökumenischen Basis frage.
Ökumenische Zusammenarbeit mit Pfingstkirchen – Adventisten und Vatikan
In seinem Editorial informiert Hille auch über die ökumenischen Bemühungen der Allianz über den "protestantischen Tellerrand" hinaus. Zum Spannungsverhältnis zu den Pfingstkirchen weist Rolf Hille darauf hin, dass in Deutschland erst 1996 Theologen des Arbeitskreises für Evangelikale Theologie (AfET) mit Kollegen aus pfingstkirchlichen Kreisen die bestehenden Unterschiede diskutiert und neu bewertet haben. Daraus erwuchs dann eine gemeinsame Vereinbarung. In dieser sogenannten "Kasseler Erklärung" wurden sowohl der Konsens als auch die noch bestehenden Differenzen zwischen der evangelikalen und der charismatischen Bewegung herausgearbeitet. Hille resümiert: "Dieses Papier hilft den örtlichen Allianzen im Blick auf Christen aus den Pfingstkirchen bzw. der charismatischen Bewegung zu klären, inwieweit sie im Rahmen der Evangelischen Allianz kooperieren können."
Obwohl in den letzten 50 Jahren verschiedene informelle Kontakte zwischen der Evangelischen Allianz und der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten bestanden, trafen sich erstmals im August 2006 in Prag (Tschechien) Vertreter der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und der Weltkirchenleitung der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten offiziell zu theologischen Gesprächen. Ein weiteres Dialog-Treffen fand 2007 in den USA statt.
Gemäss Hille wurde die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Allianzkreisen zunächst als eine Sekte betrachtet, die sich von allen anderen Kirchen distanziert. Im Laufe der Jahrzehnte habe sie sich aber zu einer evangelischen Freikirche gewandelt. Hille wörtlich: "Damit ist es selbstverständlich geworden, dass Mitglieder aus adventistischen Gemeinden sowohl in den örtlichen Allianzen als auch überregional in der Allianz zusammenarbeiten."
Die Evangelische Allianz führte auf Weltebene bereits seit 1980 Gespräche mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. In mehreren Gesprächsgängen sei man dabei ein gutes Stück weitergekommen. "So wurde das sogenannte 'Koinonia-Dokument' verabschiedet, das vom Gedanken der Gemeinschaft ausgehend, Wege der Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit mit Christen aus der römisch-katholischen Kirche aufzeigt", präzisiert der Ökumene-Direktor der WEA.
Das ökumenische Profil der Evangelischen Allianz
Mit der skizzierten ökumenischen Orientierung und der Festlegung auf die gemeinsame Glaubensbasis habe die Evangelische Allianz ein sehr stark auf den einzelnen Christen abgehobenes Profil, erläutert der Theologe. Es gehe dabei zuerst und vor allem um die "Gemeinschaft der Glaubenden." Damit unterscheide sich die Allianz in ihrer Struktur wesentlich vom 1948 als Kirchenbund gegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Man solle sich, so Hille, "im Klaren darüber sein, dass beide Modelle ihre besonderen Möglichkeiten zur Förderung christlicher Einheit haben." In einer Welt der Institutionen müsse es auch eine offizielle Begegnungsebene und Kooperationsmöglichkeit von Kirchen geben. Die gelebte Gemeinschaft und Vertiefung der christlichen Frömmigkeit durch einzelne Christen aus den verschiedenen Kirchen, wie sie sich in der Evangelischen Allianz finde, sei ein anderes Modell, das neben dem Weltkirchenrat (ÖRK) sein eigenes Gewicht und seine Segensgeschichte habe, betont Pfarrer Hille in seinem Editorial.
Hille war von 1993 bis 2000 auch Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, deren Hauptvorstand er bis heute angehört. Sein Anliegen ist, dass die heranwachsende Theologengeneration es wieder lernt, in der Auseinandersetzung mit dem modernen Säkularismus Bibelfrömmigkeit und wissenschaftliche theologische Arbeit zu verbinden. "Das Zentrum des christlichen Glaubens ist eine persönliche Beziehung zum auferstandenen Jesus Christus", lautet Hilles Überzeugung, für die er in Veröffentlichungen, Predigten, Vorträgen und Evangelisationen eintritt.