Anlässlich ihrer Jahreskonferenz am 1. März in Moskau konnte die interkonfessionelle „Russische Evangelische Allianz“ (REA) ihr zehnjähriges Jubiläum feiern. Die Tagung mit 40 Teilnehmern fand in diesem Jahr in der Moskauer Zentrale der Russischen Union der Baptisten (RUECB) statt. Dank des Engagements zusätzlicher Mitarbeiter aus baptistischen, evangeliumschristlichen und pfingstlerischen Kreisen habe deren Arbeit im vergangenen Halbjahr einen beachtlichen Aufwind erlebt, berichtet William Yoder, Medienreferent der REA, aus Moskau. Neue Allianz-Mitarbeiter bestärkten den Entschluss, den evangelischen Dachverband „in eine selbstragende, zutiefst russische Grösse zu verwandeln“.
Auf der Konferenz seien die Strukturen der REA erheblich erweitert worden. Zum ersten Mal verfüge sie mit dem Evangeliumschristen Sergei Wdowin über einen Generalsekretär und mit Michail Dubrowski von der Pfingstunion „ROSKhWE“ über einen Vorstandssekretär sowie drei Vizepräsidenten. Zum neuen Allianzpräsidenten wurde der Moskauer Baptist Alexander Feditschkin gewählt; er löst den Baptisten Wladimir Semjonowitsch Rjagusow ab, der gegenwärtig als Theologiedozent in der Stadt Krasnodar arbeitet. Die Methodistin Swetlana Potschtowik bleibt Büroleiterin der REA. Im 12-köpfigen Vorstand sind alle grösseren protestantischen Denominationen vertreten, darunter auch die Siebenten-Tags-Adventisten, Lutheraner, Presbyterianer und Methodisten.
Regionale Versammlungen
Diese basisorientierte evangelische Vereinigung von Freiwilligen sei längst nicht nur in Moskau aktiv: Weitere Filialen befänden sich in Blagoweschtschensk (Fernost), Kemerowo (Sibirien) und Ischewsk (Ural) sowie in Woronesch, Nischni Nowgorod, Miass, Wjasma, Kaliningrad und Krasnodar (Zentral- und Westrussland), so Medienreferent Yoder. Neben regionalen Versammlungen umfassten ihre Aktivitäten ein jährliches Gebetsheft im Januar sowie die Herausgabe russischsprachiger Kommentare in Zusammenarbeit mit einem orthodoxen Verlag. Eine regionale Aktion in diesem Frühjahr bestehe aus einem Reinigungstag auf den Strassen Nischni Nowgorods. Er solle von einer grossen Party in einem Park am Nachmittag gefolgt werden.
REA mit wenig Einfluss auf die öffentlichen Geschehnisse
An der Konferenz am 1. März wurde betont, dass die Protestanten nur dann von den „Mächtigen“ des Landes ernst genommen würden, wenn sie gemeinsam an die Öffentlichkeit treten. Der scheidende Präsident Rjagusow gab an, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts im russischen Reich über sechs Millionen Protestanten gab. Heute sei diese Zahl auf rund eine Million zusammengeschrumpft, was etwa 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung betrage.
Der neue Vorstandssekretär Dubrowski räumte ein, dass die REA gegenwärtig wenig Einfluss auf die öffentlichen Geschehnisse ausübe. Doch gleichzeitig bleibe sie für die Russen eine wichtige Brücke zur weltweiten, evangelikalen Bewegung. Die Leitungsspitze aller grösseren evangelischen Denominationen treffe sich im Rahmen des „Konsultativrats der Leiter der protestantischen Kirchen Russlands“ regelmässig in Moskau. Doch die Bemühungen der Allianz fielen eindeutig schwieriger aus, denn sie nehme sich vor, Laienmitglieder für Aktivitäten in den Regionen auf der horizontalen, basisbezogenen Ebene zu gewinnen. Auf dieser Ebene bleibe jedoch die Furcht vor Abwerbung und Glaubensvermischung ein erhebliches Hindernis.
Die Anfänge
Die Evangelische Allianz, wohl die älteste interkonfessionelle Organisation überhaupt, wurde 1846 in London gegründet. Schon 1884 wurde eine erste, interkonfessionelle Tagung in Sankt Petersburg durchgeführt – doch am dritten Tag trieb die Polizei die Versammelten auseinander. Der evangeliumschristliche Leiter Iwan Prochanow (1869-1935) machte sich für die Bewegung stark und brachte es 1906 fertig, eine „Russische Allianz“ staatlich registrieren zu lassen. Doch erbitterte Auseinandersetzungen über die Tauffrage führten zu ihrer baldigen Auflösung. Man kann heute mit Berechtigung behaupten, dass im Stalinschen Gulag die Anhänger aller Glaubensrichtungen sehr positive, praktische Erfahrungen hinsichtlich der interkonfessionellen Beziehungen gesammelt haben. Anfang April 2003 fand in Rumjanzewa, unweit von Moskau, die Gründungskonferenz der heutigen Russischen Evangelischen Allianz statt. Rund 150 Protestanten aus 40 Glaubensgemeinschaften wohnten der Gründungsfeier bei.
Inzwischen haben sich mehrere regionale Allianzen in Osteuropa und Zentralasien gebildet. Zwei der erfolgreichsten befinden sich in der Kirgisische Republik und in der Mongolei. Die sehr zahlreichen Denominationen in der Ukraine kämen bei der Bildung einer landesweiten Evangelischen Allianz nur schleppend voran. Eine von mehreren Allianzen möchte am 20. März in Kiew eine nationale Konferenz abhalten.
Die Russische Allianz verfügt über Beziehung zur "Weltweiten Evangelischen Allianz" (World Evangelical Alliance/WEA) mit Sitz in New York City (USA). Mit der "National Association of Evangelicals" (NAE) in den Vereinigten Staaten besteht eine Partnerschaft. Der "Europäischen Evangelischen Allianz" (EEA), die europäische Plattform nationaler Allianzen, gehört die Russische Evangelische Allianz jedoch nicht an.
Die Bevölkerung Russlands zählt sich mehrheitlich zum orthodoxen Glauben (60 Prozent), daneben zum Islam (10 Prozent ) und zu anderen christlichen Konfessionen (2 Prozent ). Rund 30 Prozent der Einwohner bezeichnen sich als nicht gläubig.