Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) hat ihre Mitglieds- und Gastkirchen aufgerufen, am 24. April in Gottesdiensten und Gedenkstunden an den Völkermord an den Armenier vor 100 Jahren im Osmanischen Reich zu erinnern. Nach historischen Unterlagen sollen dort zwischen 1915 und 1922 etwa 1,5 Millionen Menschen umgekommen sein. Es handelte sich dabei nicht nur um orthodoxe Christen, sondern auch um Protestanten, darunter 167 Adventisten.
1889 kam mit Theodore Anthony der erste adventistische Missionar nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, berichtete Pastor Holger Teubert (Ostfildern), Mediensprecher der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland. Anthony gründete 1893 eine kleine Gemeinde in Alexandretta (Iskenderun). Unter den ersten Gläubigen war auch der Armenier Zadour G. Baharian. Er wurde 1894 als erster einheimischer Pastor ordiniert. 1893 entstanden weitere adventistische Gemeinden in Konstantinopel (20 Mitglieder) sowie in Ovajuk und Bardizag (je 30 Mitglieder). 1904 gründete der aus den USA stammende Arzt Dr. A. W. George eine kleine Klinik in Istanbul. 1909 entstand in Bardizag ein theologisches Seminar. Eine Zahnklinik unter Leitung des Franzosen Dr. Girou kam 1912 in Smyrna (Izmir) hinzu. Bereits im Jahre 1909 schufen die Adventisten in Konstantinopel eine eigene Kirchenleitung, die 1910 von den osmanischen Behörden registriert wurde. Leiter des „Champ Missionaire Ottoman des Adventistes du Septième Jour“ war der aus Hamburg entsandte Schweizer Missionar Emil Eduard Frauchiger.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges habe es auf dem Gebiet der heutigen Türkei rund 350 Adventisten gegeben, die hauptsächlich armenischer Herkunft gewesen seien, so Teubert. Von ihnen hätten 167 in den nachfolgenden Jahren ihr Leben verloren. Einige wären zum Islam übergetreten, um sich zu retten. Eines der ersten Opfer sei der als „adventistische Vater“ bekannt gewordene Pastor Zadour G. Baharian gewesen. „Er wurde 1915 während einer Missionsreise bei Sivas von türkischen Soldaten ermordet. Der Geistliche sollte seinem christlichen Glauben abschwören und auf der Stelle zum Islam konvertieren. Als er sich weigerte und die Hände zum Gebet faltete, wurde er erschossen“, heißt es laut Pastor Teubert in einem Bericht. Baharian wären sieben weitere adventistische Pastoren, zum Teil mit ihren Familien, gefolgt.
Wer nicht gleich umgebracht wurde, sei auf Todesmärschen gestorben. Der bekannte armenische Lyriker und Hochschullehrer Diran Tcherakian wurde 1915 Adventist. Als Wanderprediger habe er 1921 Anatolien durchzogen, um die bedrohten und verängstigten adventistischen Gemeindemitglieder zu trösten. In Konya sei er festgenommen und vor Gericht gestellt, da er nicht zum Widerruf seines Glaubens bereit gewesen wäre. Seine mitangeklagten beiden Brüder wären gleich erschossen worden. Teubert verwies auf Zeitzeugen, die berichteten: „Tcherakian musste monatelang zu Fuß und in Ketten, von türkischen Milizionären geschlagen und gefoltert, durch das karge Bergland Anatoliens ziehen. Nach etwa eintausend Kilometern kamen die Gefangenen Anfang Juni 1921 in der Stadt Diyarbakir am Ufer des Tigris an. Die todbringende syrische Wüste lag nun vor ihnen. Dort starb Tcherakian an Erschöpfung.“
1923 hätten die meisten überlebenden Adventisten die Türkei verlassen. Die Kirchenleitung wurde bereits 1916 aufgelöst, die Kliniken und das Seminar bestanden schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. 1948 habe die Freikirche in Istanbul wieder 70 Mitglieder umfasst, hauptsächlich armenischer Herkunft. Für sie sei in den 1950er Jahren eine Kirche gebaut worden. Von 1964 bis 1973 gab es in Istanbul auch wieder eine kleine Klinik. 1993 existierte zudem eine englische Sprachschule. Doch immer mehr Armenier wären laut Teubert ausgewandert, sodass sich ab 1994 nur noch rund 15 Gläubige in der für sie viel zu großen Kirche zum Gottesdienst versammelt hätten. Im Sommer seien noch ausländische Urlauber hinzugekommen. Schließlich hätten auch die letzten armenischen Adventisten das Land verlassen. Heute gebe es in der Türkei in Istanbul und Izmir jeweils eine adventistische Gemeinde mit insgesamt etwa 100 erwachsen getauften Siebenten-Tags-Adventisten.
Von den 77 Millionen Einwohnern der Türkei sind 98 Prozent Muslime, davon 70 Prozent Sunniten und 15 bis 25 Prozent Aleviten. Der Anteil der türkischen Alawiten und Schiiten in der Bevölkerung ist unbekannt. Die Zahl der Christen wird auf unter 100.000 geschätzt, wobei die meisten von ihnen orthodoxen Kirchen angehören. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten noch etwa 20 Prozent Christen auf dem Gebiet der heutigen Türkei.