Der armenisch-apostolische Katholikos von Kilikien, Aram I., besucht von 24. bis 26. September die Schweiz. Anlass ist das 100-Jahr-Gedenken an den Beginn des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich sowie die Dankbarkeit für die Schweizer Solidarität.
Im Hinblick auf die Reise erklärte Aram I. in seiner Residenz im libanesischen Antelias: "Ich möchte unserer tief empfundenen Dankbarkeit für die Solidarität Ausdruck verleihen, die das Schweizer Volk den Armeniern seit 100 Jahren bezeugt. Ich möchte all die 'Gerechten' würdigen, die ihre Kraft, ja ihr Leben für die armenische Sache eingesetzt haben. Es ist mein Wunsch, mit diesen Feierlichkeiten die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern zu vertiefen, damit wir uns gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit engagieren. Ich rufe die Schweizerinnen und Schweizer auf, sich für die Kriegsopfer von heute, insbesondere für jene aus dem Nahen Osten, einzusetzen".
Gottfried Locher: Helfen ist ein Grundwert
Bezüglich der jahrhundertelangen Leidensgeschichte der christlichen Armenier appellierte Gottfried Locher, Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK): "Den Leidenden zu helfen, das ist ein Grundwert nicht nur des christlichen Glaubens, sondern auch unseres Landes. Folgen wir also dem Beispiel derer, die uns diese Werte vorgelebt haben, und setzen wir sie weiterhin in die Praxis um".
Besuchsprogramm des Katholikos von Kilikien in der Schweiz
Aram I. wird laut Christian Schäffler/CBS KULTUR INFO zunächst am 24. September im waadtländischen Begnins bei einer Gedenkfeier sprechen. Der reformierte Pfarrer Antoine Krafft-Bonnard gründete 1921 In Begnins ein Waisenhaus für armenische Kinder. Am 25. September findet im Berner Münster eine "Nationale Gedenkfeier" für die Opfer des Völkermords an den Armeniern statt. Die vom Evangelischen Kirchenbund (SEK) organisierte ökumenische Feier wird vom Ensemble "Eskeniangeli" begleitet, das armenische liturgische Klänge mit Barock verbindet.
An der Feier werden neben Vertretern der armenischen Gemeinden in der Schweiz, der Schweizer Bischofskonferenz, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Kanton Bern und des Israelitischen Gemeindebundes auch hochrangige Vertreter der Politik sowie Nachfahren des "schweizerischen Vaters der Armenier", Jakob Künzler, teilnehmen. Der Katholikos wird eine Ansprache halten. Am 26. September wird Aram I. in Walzenhausen (AR), dem Geburtsort Künzlers, eine Gedenkfeier leiten.
Jakob Künzler: Krankenpfleger, Arzt, Retter und Betreuer armenischer Waisen
Jakob Künzler (1871-1949) war ein Schweizer Zimmermann, evangelischer Diakon und Missionar, Krankenpfleger, Arzt, Retter und Betreuer Tausender armenischer Waisen und Witwen während und nach dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich. 1893 liess er sich im Diakonenhaus der Basler Mission zum evangelischen Diakon in Krankenpflege ausbilden. 1899 ging er mit der "Christlichen Orientmission" nach Urfa in Anatolien. Der hilfsbereite, gesellige und sprachbegabte Krankenpfleger Künzler lernte dort Türkisch, Armenisch, Kurdisch, Arabisch und später auch noch Französisch. Im Schweizer Spital, wo Menschen aller Religionen und Ethnien behandelt wurden, fand er seinen Wirkungsort als Krankenpfleger. Wegen des Mangels an Ärzten bildete er sich medizinisch weiter bis zum selbständigen Operateur, baute die Klinik aus und gründete eine Knabenschule. Während eines Urlaubs in der Schweiz 1919 absolvierte er die Fähigkeitsprüfung zum Arzt an der Universität Basel mit Auszeichnung.
Augenzeuge des Völkermordes
Ab 1915 wurde er in Urfa Augenzeuge des Völkermordes an den Armeniern. Unter Lebensgefahr halfen er, seine Frau – die Enkelin einer äthiopischen Prinzessin - und die Dänin Karen Jeppe, wo sie konnten. Sie versorgten Hungernde und Nackte, versteckten Flüchtlinge, sorgten für Tausende von armenischen Waisen und führten den Spitalbetrieb in der Stadt Urfa notdürftig weiter. Dank guter Beziehungen auch zu Muslimen konnte seine Frau mit Hilfe von Freundinnen Frauen nach Aleppo in Sicherheit bringen. So konnten sie etwa 2.700 armenische Christen vor dem Tod bewahren.
1922 musste Künzler auf türkischen Druck das Spital in Urfa schliessen, er zog mit seiner Familie und etwa 8.000 armenischen Waisen zu Fuss, in Kutschen und auf Lastwagen ins französische Mandatsgebiet in Syrien und später nach Ghazir in der Nähe von Beirut. In Ghazir eröffnete er mit seiner Frau ein Zentrum für mehr als 1.400 Waisenmädchen, sie ermöglichten vielen davon eine Ausbildung zur Teppich-Weberin. 1932 errichtete er in Bourj Hammoud bei Beirut eine Siedlung mit 377 Wohnungen für armenische Witwen, die später zu einem Zentrum mit Behindertenheim, Schule und Klinik umfunktioniert wurden. Trotz Armamputation 1923 arbeitete er unermüdlich weiter, weil ihn die Not der armenischen Flüchtlinge nicht mehr los liess.
Bruder Jacob
Um seines selbstlosen Einsatzes willen wurde Künzler auch Bruder Jacob genannt. Abel Manoukian hat die Gesten der Schweizer Solidarität gegenüber dem armenischen Volk in einem neuen Buch dargestellt. "Zeugen der Menschlichkeit - Der humanitäre Einsatz der Schweiz während des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich 1894-1923. Zum 100. Gedenkjahr des Völkermordes" erscheint Ende September in deutscher Sprache beim Schweizerischen Evangelischer Kirchenbund (SEK).
Text von Christian B. Schäffler (CBS KULTUR INFO) 2015. Mit News-Input von der Stiftung Pro Oriente, Wien.