Bei der in Berlin tagenden 108. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Deutschland zur Thematik „Friede in einer gefährdeten Welt“ sprach Dr. Dorothea Wendebourg, Professorin für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, über Martin Luthers Berufsethik für christliche Soldaten. Der Reformator habe die Frage bejaht, ob Christen als Soldaten Krieg führen dürften und im Fall eines Krieges auch gegen das Tötungsverbot der Bibel handeln könnten. Das sei ihnen aber nur erlaubt, wenn es um einen Verteidigungskrieg gehe. Nach Luthers Auffassung und Theologie diene die Erhaltung der staatlichen Ordnung mit Gesetz, Polizei und Militär der Welterhaltung.
Ein Ritter fragt Luther
Am 15. Mai 1525 kämpfte der Freund Luthers, Ritter Assa von Kram, als sächsisch-kurfürstlicher Oberst mit seiner Reiterei in der Schlacht bei Frankenhausen gegen die aufständischen Bauern. Viele der bereits fliehenden Aufständischen wurden dabei niedergemetzelt. Unter dem Eindruck der Grausamkeiten fragte der Söldnerführer den Reformator, ob ein Christ Soldat sein dürfe. Luther verfasste daraufhin 1526 die Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“, die seinem „gestrengen und ehrenfesten“ Freund gewidmet war. Luther ging darin unter anderem auf Erfahrungen von Krams im deutschen Bauernkrieg ein.
Christ und Militär - eine alte Frage
Die Frage, ob Christen auch als Soldaten dienen dürfen, sei so alt wie das Christentum selbst, betonte Professorin Wendebourg. Ursprünglich wäre diese Frage mit einem klaren „Nein“ beantwortet worden. Nach damaliger Vorstellung galt das Christentum mit einer Teilnahme am staatlichen Leben als nicht vereinbar. Ein Soldat konnte nicht Mitglied in der Kirche sein. Das führte dazu, dass sich Soldaten erst am Ende ihrer Dienstzeit taufen liessen. Selbst manche oströmischen Kaiser, die viele Jahre den Gottesdienst besuchten, wurden erst auf ihrem Sterbebett getauft. Das galt selbst für Kaiser Konstantin (gestorben 337), der den Aufstieg des Christentums zur wichtigsten Religion im Imperium Romanum einleitete. Erst im Laufe der Jahrhunderte habe sich diese Sicht verändert.
Im Mittelalter sei dagegen die Frage, ob ein Christ auch Soldat sein könne, von der römisch-katholischen Kirche mit einem klaren „Ja“ beantwortet worden; allerdings in einem abgestuften Sinn. Für die meisten Christen wäre der Soldatenberuf möglich. Nur solche Christen, die nach den Prinzipien der Bergpredigt Jesu leben konnten, wie etwa der Klerus, sollten keine Soldaten werden.
Gott wirkt mit und ohne Schwert
Luther habe diese Zweistufenethik abgelehnt, so Dorothea Wendebourg. Die Regeln der Bergpredigt galten nach seiner Meinung für jeden Christen. Allerdings gebe es für Christen auch den Fall, wo staatliche Gewaltanwendung erlaubt, ja sogar geboten sei. Der Reformator vertrat dabei die Lehre von den „Zwei Regimenten“.
Wie die Professorin ausführte, waren damit die zwei Weisen Gottes gemeint, wie er die Welt regiere. Ein Christ gehöre, so Luther, gleichzeitig dem weltlichen und dem geistlichen Regiment an. Das geistliche Regiment werde durchs Wort Gottes und ohne Schwert ausgeübt. Dadurch sollten die Menschen rechtschaffen und gerecht werden, sodass sie mit dieser Gerechtigkeit das ewige Leben erlangen. Das weltliche Regiment werde durchs Schwert ausgeübt, damit diejenigen, die durchs Wort nicht rechtschaffen und gerecht werden wollen zum ewigen Leben, trotzdem durch ein solches weltliches Regiment gezwungen würden, rechtschaffen zu handeln, damit Frieden unter den Menschen gehalten wird. Denn der Heilige Geist habe nur „einen kleinen Haufen“ von Christen. Die anderen Menschen seien böse und müssten ein weltliches Schwert haben. Wo ein weltliches Regiment sein Amt nicht streng ausübt gebe es „Aufruhr, Morden, Krieg, Weib und Kinder schänden, da niemand sicher zu leben vermag“. Das Militär diene somit der Ausübung staatlicher Gewalt, um gegen die ständige anarchische Bedrohung der Welt zu wirken. Insofern Soldaten im Auftrag des Staates handelten, dürften oder müssten sie unter Umständen gewaltsam tätig werden.
Wendebourg betonte, dass Luther auch das Recht auf Gehorsamsverweigerung einräume, wenn der Christ in seinem Gewissen erkenne, dass der Krieg nicht zu rechtfertigen sei. Krieg wäre nur als Verteidigungskrieg beziehungsweise als „Notkrieg“ zu legitimieren. Hieran gelte es hohe Kriterien zu stellen. So könne der Krieg nur die letzte Massnahme sein, nachdem Verhandeln und sogar partielles Nachgeben keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Eine dauernde Gratwanderung
Als im März 1542 auf Befehl des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich Soldaten zur Besetzung Wurzens auszogen, um Hilfsgelder zur Finanzierung des Krieges gegen die Türken einzutreiben, verurteilte Luther diese Aktion als nicht gerechtfertigt, sodass die „Wurzener Fehde“ unblutig gelöst werden konnte. Andererseits betonte Luther, dass ein Untertan nicht das Recht habe, sich gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit aufzulehnen. Obwohl der Reformator auch das Verhalten der Fürsten im Bauernkrieg kritisierte, verurteilte er die Aufständischen scharf. Mit drastischen Worten forderte er, man solle „die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern … zerschmeissen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“ So werde deutlich, dass Luthers Lehre von den beiden Regimenten „eine dauernde Gratwanderung“ beinhalte, sagte Dorothea Wendebourg.
Evangelischer Bund
Der Evangelische Bund wurde 1886 gegründet. Seit 1947 arbeitet der Verein mit Sitz in Bensheim/Bergstrasse für die Verständigung zwischen den Konfessionen und ist Träger des Konfessionskundlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das konfessionskundliche, ökumenische und kontroverstheologische Forschung betreibt.