Buchrezension Andrew Goddard/Don Horrocks (Hrsg.), Homosexualität: Biblische Leitlinien, ethische Überzeugungen, seelsorgerliche Perspektiven Giessen: Brunnen 2016, 168 Seiten, Paperback, € 15, ISBN 978-3-7655-2060-0
Das Buch „Homosexualität“ greift mutig ein schwieriges Thema auf, an dem sich die Geister scheiden. Die Britische Evangelische Allianz (BEA) hat in einem mehrjährigen, aufwändigen und von Fachleuten begleiteten Entstehungsprozess ein Grundsatzpapier zum Thema Umgang mit Homosexualität erarbeitet. Der Präsident der Europäischen Evangelischen Allianz, Dr. Frank Hinkelmann, gab dem Buch ein Geleitwort, während der Vorsitzende des Arbeitskreises für evangelikale Theologie, Professor Dr. Christoph Raedel, für die deutsche Auflage ein Vorwort verfasste.
Deutlich wird, dass sich das gesellschaftliche Klima, in dem sich die Debatte bewegt, in den letzten Jahren drastisch geändert hat. In Politik und manchen Kirchen ist eine klare Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften festzustellen. Raedel konstatiert: „Die Preisgabe bislang vom kirchlichen und gesellschaftlichen Konsens getragener Positionen korreliert nicht mit theologischen oder humanwissenschaftlichen Entdeckungen, die diese Entwicklung zu plausibilisieren vermögen“ (S. 10). Auch unter den Evangelikalen existieren konträre Auffassungen darüber, wie denn der biblische Befund zum Thema Homosexualität zu interpretieren sei. Die Autoren wollen Orientierung für die Praxis geben, nicht in die immer wieder vorwurfsvoll geäusserte „Homophobie“ abgleiten, aber auch nicht zu einer relativistischen Haltung zum Thema Homosexualität ermutigen.
Zum Inhalt
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, die verschiedene Schwerpunkte beleuchten. Die Kapitel widmen sich einzelnen Leitsätzen, die die BEA bereits in einem früheren Werk erarbeitet hat und die jeweils vorangestellt werden. Im ersten Kapitel „Homosexualität und das Evangelium: ein evangelikaler Ansatz“ werden Grundsätzlichkeiten vorgestellt. Das zweite Kapitel „Wahrheiten, die es zu leben gilt“ geht knapp auf den biblischen Befund ein. Im dritten Kapitel werden „Perspektiven für die seelsorgerliche Reflexion und Praxis“ vorgestellt, wobei zwischen Orientierung und Handlung unterschieden wird. Kapitel vier geht auf die „Seelsorgerliche Praxis für eine Gemeinschaft der Gnade und Wahrheit“ ein und beleuchtet speziell die Themen „Sexuelle Anziehung, Orientierung und Identität“, wobei im fünften Kapitel das sexuelle Verhalten und die Beziehungen genauer dargestellt werden. Der Schluss besteht aus einem ausführlichen Literaturverzeichnis und Hinweisen zu weiterführender Lektüre.
Die im Buch genannten Daten und Fakten sind klar dem britischen Kontext zuzuordnen, und die erwähnten Hilfsorganisationen und Beratungsangebote sind zumeist im anglo-amerikanischen Raum anzutreffen. Dies macht die direkte Übertragung in den deutschen Sprachraum etwas schwierig – allerdings gibt es kein vergleichbares Dokument seitens der Deutschen Evangelischen Allianz zum Thema Homosexualität.
Schwerpunkt Seelsorge
Auch wenn der Standpunkt der Autoren im Sinne einer konservativen Sexualethik deutlich wird, liegt der Beitrag des Buches zur Debatte schwerpunktmässig auf der seelsorgerlichen Praxis. Über die Wahrheit, wie sie die Bibel vermittelt, mag unter Wissenschaftlern und Gemeindegliedern diskutiert werden, doch Gnade sollte jeder in einer Kirchengemeinde erleben dürfen, so der Tenor des Buches. Homosexuell empfindende Menschen dürfen in den Gemeinden nicht ausgegrenzt werden. Betroffene brauchen einen Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen und müssen grundsätzlich Zugehörigkeit erleben dürfen. Jedoch steht die Gemeinde auch in der Verantwortung zur biblischen Sexualethik aufzurufen. „Evangelikale Gemeinden müssen deshalb Orte sein, an denen in Reaktion auf die Homosexualität […] Menschen der einladenden, vergebenden und verändernden Kraft Christi begegnen“, so die Autoren (S. 147).
Einzelfall-Lösungen erforderlich
Die Autoren rufen zu Treue auf – in Wort und Tat. Jedoch liegt die Herausforderung darin im Umgang mit der Thematik Fingerspitzengefühl zu zeigen. Auch eine konservative evangelikale Sexualethik muss liebevoll gelebt werden und darf nicht kategorisch in Ausgrenzung bestehen. In der seelsorgerlichen Praxis gibt es keine Pauschallösungen, sondern es muss stets der Einzelfall betrachtet werden. Situationen können sich voneinander unterscheiden, da verschiedene Personen auch unterschiedlich mit ihren Neigungen umgehen. Dabei muss es durchweg „das Ziel sein, den Menschen Antworten zu geben, die die biblische Wahrheit freundlich zur Wirklichkeit des Lebens in Beziehung setzen und treu das Evangelium der Erlösung von der Sünde und der verwandelnden Kraft des Geistes Christi im Leben der Kirche bezeugen“ (S. 145). Dass dieses Postulat freilich nicht immer einfach zu leben ist, wird an keiner Stelle des Buches bestritten.
Claudia Mohr