Vor allem in den USA ist Kritik an der kompromisslosen Verurteilung der Todesstrafe durch Papst Franziskus, wie sie in einer Veränderung der entsprechenden Passage im Weltkatechismus sichtbar geworden ist, laut geworden. Deshalb habe Jim Forest, internationaler Sekretär des "Orthodox Peace Fellowship", die Haltung der ungeteilten Kirche der frühen Jahrhunderte in Erinnerung gerufen, berichtet CBS KULTUR INFO.
Wörtlich schreibt Forest in "Public Orthodoxy": «Christen der ersten Jahrhunderte wären erstaunt über die für die Todesstrafe eintretenden Christen in einem Land des 21. Jahrhunderts, wo es jede Menge von Kirchen gibt. In der frühen Kirche konnten auch Soldaten und Richter, die das Katechumenat begonnen hatten, erst getauft werden, sobald sie geschworen hatten, keinem Nächsten das Leben zu nehmen.»
Soldaten sollen auf Tötung von Menschen verzichten, sonst keine Zulassung zur Taufe
Der US-amerikanische orthodoxe Laientheologe zitiert den Heiligen Hippolyt, Bischof von Rom (170-235), der ausdrücklich den Verzicht auf jegliche Tötung von Menschen als Voraussetzung für die Zulassung zur Taufe betont habe: «Ein Soldat soll keine Menschen töten. Wenn ihm das befohlen wird, soll er den Befehl nicht ausführen oder den Eid verweigern…Wer als Richter einer Stadt die Schwertgewalt hat, soll verzichten oder als Taufbewerber zurückgewiesen werden. Katechumenen oder Gläubige, die Soldaten werden wollen, sollen zurückgewiesen werden, weil sie Gott geschmäht haben.»
Man müsse sich die Frage stellen, wie viele Leute, die heute lauthals ihre christliche Identität bekennen, die Kirche verlassen würden, wenn man sie mit einem solchen Verlangen konfrontiere, so Forest. Tatsächlich hätten nicht wenige Katholiken, die sich für das Lebensrecht der Ungeborenen engagieren, auf die «Pro Life»-Revision des Weltkatechismus durch Papst Franziskus mit dem Aufschrei der Häresie reagiert. Man stelle sich die Frage, ob diese Leute nicht auch Christus verurteilen müssten, weil er niemanden töten wollte und keinen Krieg akzeptiert habe.
Das Herz des Evangeliums sei Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung, betont der amerikanische Theologe. Und er stellt die Frage: «Können wir nicht darauf hoffen, dass Leute, die schlimmste Verbrechen, einschliesslich Mord, begangen haben, sich bessern und Busse und Bekehrung erreichen?» Eine solche Konversion stehe im Mittelpunkt der Dostojewskij-Erzählung «Schuld und Sühne».
Um gegen die Todesstrafe zu sein, bedürfe es aber nicht der Inspiration durch das Evangelium. Jeder, der gegen Ungerechtigkeit sei, könne feststellen, dass es sehr oft die Armen (und die Angehörigen von Minderheiten) sind, die von der Todesstrafe betroffen werden, stellte der orthodoxe Theologe – sichtlich im Hinblick auf die Situation in den USA – fest. Zudem müsse man bedenken, dass alles menschliche Tun fehlerhaft sei. Immer wieder kämen Fälle ans Licht, wo schuldlose Menschen hingerichtet worden seien.
Für ihn als orthodoxen Christen sei es besonders wichtig, dass der Heilige Wladimir, als er sein Volk im Dnjepr taufen liess, die Todesstrafe abgeschafft habe, «ein Beweis, dass seine Bekehrung nicht nur ein politisches Ereignis war». Die Abschaffung der Todesstrafe sei dann auch im 18./19. Jahrhundert eine der eindrucksvollsten Reformen in Russland gewesen. Die Verurteilten seien stattdessen zur Zwangsarbeit gezwungen worden. Aber es sei eindrucksvoll, dass im russischen Sprachgebrauch die Gefangenen «Unglückliche» genannt werden, eine Haltung des Mitleids, die der amerikanischen Kultur abgehe.
Forest verweist auch auf den Heiligen Nikolaus, der in Russland besonders verehrt wird. Er schildert die Legende, wonach Nikolaus, als er davon hörte, dass drei zum Tod Verurteilte hingerichtet werden sollten, an den Ort des Geschehens eilte, dem Henker das Schwert entriss und es in den Boden stiess und zugleich die Freilassung der Verurteilten verlangte. Niemand wagte ihm zu widersprechen, auch der Gouverneur der Stadt tat Busse, um die Lossprechung durch den Heiligen zu erlangen.
Im Hinblick auf die Tauferfordernisse der frühen Kirche erinnert der amerikanische Theologe daran, dass auch heute orthodoxe Priester, auch wenn sie nur durch Zufall töten, nicht mehr an den Altar treten dürfen. Es sei wert, sich die Frage zu stellen, warum es eine solche kirchenrechtliche Festlegung gebe.
Abschliessend stellte der orthodoxe Laientheologe und Lektor fest: «Vielleicht hat Papst Franziskus einen Schritt gesetzt, der allen Christen hilft, jenen Christus zu entdecken, der Leben rettet statt es zu nehmen.»