Darold Bigger, Stich ins Herz – Das Ringen um Vergebung nach einer unfassbaren Tat, Advent-Verlag Lüneburg 2019, 256 Seiten, Buch, 20,00 EUR, ISBN: 978-3-8150-1979-5
„Ich muss euch die schlimmste Nachricht überbringen, die ich euch je mitteilen könnte … Shannon ist ermordet worden, umgebracht in ihrer Wohnung.“ Diese erschütternde Nachricht, gesprochen vom College Seelsorger zertrümmerte augenblicklich die bis dahin geordnete Welt von Barbara und Darold Bigger. Darold Bigger war Theologieprofessor am damaligen Walla Walla College im Bundesstaat Washington/USA, als seine Tochter Shannon 1996 kurz vor Ende ihres Praktikums in Maryland auf der anderen Seite des Kontinents heimtückisch ermordet wurde. In dem jetzt durch den Advent-Verlag auch in deutscher Sprache vorliegenden Buch beschreibt der Autor ehrlich und offen die Ereignisse um die Tat und die bohrenden Fragen und Erlebnisse nach diesem entsetzlichen Geschehen.
Das Buch, das fast zwanzig Jahre nach der Tat 2015 zuerst im Original von der Pacific Press Publishing Association in Nampa, Idaho (USA) herausgegeben wurde ist in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil „Unser Ringen darum, dem Mörder unserer Tochter zu vergeben“ widmet sich Bigger der Beschreibung des unvorstellbaren Verlusts, der Beerdigung, den Medien, dem Trauer und Schmerz und der allgegenwärtigen Frage, wo Gott denn in diesem schrecklichen Moment war. Im zweiten Teil behandelt der Vater der Ermordeten und gleichzeitig ein Professor für Theologie und soziale Arbeit den Umgang mit „Wut, Verbitterung und Rache loslassen“. Zuweilen mutet er dem Leser – zwar immer wieder hilfreiche – theologische Abhandlungen über die Thematik der Vergebung zu. Allerdings verliert er dabei nie die praktischen Aspekte des Heilungsprozesses aus dem Blick. Das hält den Leser bei der Stange.
Vergebung ist ein wesentlicher Aspekt dieses Buches. So unterscheidet Bigger zwischen dem Substantiv Vergebung und dem Verb vergeben. Er formuliert, dass der Begriff als Substantiv uns allzu leicht dazu führe, „die emotionale Bedeutung für uns abzustreiten und uns stattdessen in den gefahrlosen Bereich der intellektuellen Auseinandersetzung zurückzuziehen“ (S. 145). Im Gegensatz dazu könne Vergebung – besonders in schwierigen Situationen – nur dann wirksam sein, wenn sie persönlich und Teil unserer Identität werde. Vergebung bedeute, sich der Wirklichkeit zu stellen. Diese Wahrheit würde befreien (S. 155). Dann übe Vergebung gleichermassen ihre verändernde Kraft auf Täter und Opfer aus. Als bibelgläubiger Christ versäumt Darold Bigger dann auch nicht, Vergebung als Geschenk eines liebenden Gottes zu bezeichnen (S. 141).
So beschreibt das Buch „Stich ins Herz“ nicht nur das Betroffen sein Hinterbliebener eines schrecklichen Mordes, sondern wird zugleich eine Bedienungsanleitung für den Umgang mit negativen Erlebnissen, Hass, Wut und Rachegedanken. Im letzten Teil des Buches hat der Autor fünf Essays über die Liebe zusammengestellt. Es geht über Liebe, Anerkennung, Unterschiede, Kritik und Wut. Darold Bigger will damit sicherlich hervorheben, dass durch die Liebe das Wunder der Veränderung überhaupt erst möglich wird und die Kraft, sich und dem Täter zu vergeben, erst entfaltet werden kann. Das macht das Buch äusserst lesens- und empfehlenswert.
Stephan G. Brass