Künftig sollen Milliarden an Entwicklungsgeldern der Schweizer Regierung, die bisher vor allem an Länder des Globalen Südens gingen, als Entwicklungsgelder an die Ukraine fliessen. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) und die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) erinnern in einer Stellungnahme an die Notwendigkeit einer starken Entwicklungszusammenarbeit. Sie bitten das Parlament alle Möglichkeiten auszuloten, um eine Kürzung der Bundesbeiträge bei der Entwicklungszusammenarbeit zu vermeiden.
Sorge um das gemeinsame Haus
Die heutige Weltlage, sei geprägt von Kriegen und Konflikten, Flüchtlingsströmen, Armut, Hunger und Klimakrise, schreiben die Kirchen. Dies bereite Sorge und erfordere das Engagement von Politik und Gesellschaft. Die Schweiz spiele auf der Grundlage ihrer Verfassung international eine bedeutende und anerkannte Rolle.
Der Bund setze die Entwicklungszusammenarbeit in enger Kooperation mit nationalen und internationalen Organisationen, Schweizer Hilfswerken mit lokalen Partnern sowie der Wirtschaft um, so EKS und SBK. «Die christlichen Kirchen leisten über ihre eigenen Hilfswerke einen wichtigen Beitrag. Es hat sich bewährt, dass in der Schweiz Hilfswerke und öffentliche Hand eine enge Zusammenarbeit pflegen, sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Gerade die nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit schafft es immer wieder, in Regionen zu helfen, wo dies staatliche Akteure nicht können oder keinen Zugang zu vernachlässigten Bevölkerungsgruppen haben. Im Falle von Katastrophen und grosser Not erhalten Menschen weltweit schnelle und effiziente Hilfe aus der Schweiz», so die Stellungnahme.
Die Kirchen als Partnerinnen
In der Schweiz würden die Kirchen eine Spendenkultur fördern und pflegen. Solidarität und konkrete Entwicklungszusammenarbeit würden zusätzlich durch den Einsatz vieler ehrenamtlich Engagierter in den Pfarreien und Kirchgemeinden mitgetragen. Es sei den Bürgerinnen und Bürgern klar, dass der Staat nicht alleiniger Akteur der Entwicklungszusammenarbeit sein könne. «Als Kirchen begrüssen wir deshalb sowohl den staatlichen Beitrag an die Entwicklungszusammenarbeit, der sich am UN-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts orientiert, als auch jedes private Engagement. In der Schweiz besteht eine enge und effiziente Kooperation unter den Hilfswerken wie auch mit dem Bund», schreiben EKS und SKB.
Demnach würden sich vier von fünf Menschen weltweit zu einer Religion bekennen. In vielen Ländern des Globalen Südens würden religiöse Akteurinnen und Akteure hohes Vertrauen in der Bevölkerung geniessen. Als gesellschaftliche Kräfte leisteten sie einen aktiven Beitrag zur Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung und setzten sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vor Ort ein. «In zahlreichen Partnerländern der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit werden Gesundheitsversorgung, Bildungsangebote und andere soziale Dienste zu grossen Teilen von Religionsgemeinschaften getragen. Sie sind auch in weit abgelegenen Gebieten präsent, in Not- und Konfliktsituationen und selbst dort, wo die staatlichen Einrichtungen zu schwach sind, um eine Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können», heisst es in der Stellungnahme.
Zur Illustration kann die Tätigkeit der Adventistische Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA dienen, die in 108 Ländern der Welt tätig ist. Im 2023 hat das Hilfswerk ADRA global 20,3 Millionen Personen mit 1'133 Projekten geholfen. Daneben ist die adventistische Kirche unabhängig vom Hilfswerk ADRA in einem breiten Spektrum humanitärer Bereiche tätig. Sie unterhält weltweit 9'845 Schulen und Bildungsinstitute mit 2,17 Millionen Schülern/Studenten, 233 Krankenhäuser und Sanatorien mit 28,5 Millionen ambulanten und stationären Behandlungen im 2023 sowie 126 Alters- und Pflegeheime, 1'413 Medizinische Kliniken und Dispensarien, 126 Zahnkliniken, 16 Waisenhäuser und Kinderheime.
Gemeinsames Anliegen von Politik und Kirchen
«Die Politik hat die schwierige Aufgabe, unterschiedliche Interessen abzuwägen. Besonders mit der veränderten Sicherheitslage in Europa und dem Unterstützungsbedarf der Ukraine haben sich die Vorzeichen im Ringen um die Bundesfinanzen verändert», schreiben EKS und SBK. Gemäss dem Vorschlag des Bundesrates sollen Milliarden an Entwicklungsgeldern, die bisher vor allem an Länder des Globalen Südens gingen, der Ukraine zur Verfügung gestellt werden. «Wir hoffen, dass dabei solidarisches und verantwortungsvolles Handeln gegenüber den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt für die Schweiz ein hohes Gut bleiben», schreiben die Kirchen.
«Im Bewusstsein der Komplexität der Lage verleihen wir auch unserem Anliegen Nachdruck, dass das Parlament seine Möglichkeiten ausschöpft und einen Weg findet, um von Kürzungen der Bundesbeiträge bei der Entwicklungszusammenarbeit abzusehen. Wir sind überzeugt: Es braucht eine starke Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz. Wenn wir unsere Leistungen reduzieren, würde dies die Ärmsten und Verwundbarsten auf dieser Welt unverhältnismässig stark treffen. Für diese Menschen sollen sich Politik, Hilfswerke, Kirchen und die Zivilgesellschaft gemeinsam einsetzen.»