Das Ausmass der Zerstörungen nach dem Erdbeben in Pakistan übertrifft nach Darstellung der Vereinten Nationen die ursprünglichen Befürchtungen. "Ich habe nie zuvor solche Verwüstungen gesehen", sagte UN-Chefkoordinator Jan Egeland am Donnerstag in Muzaffarabad. Er rief die Weltgemeinschaft zu mehr Hilfe für die Opfer auf, von denen viele in abgelegenen Gebieten fünf Tage nach der Naturkatastrophe noch immer sich selbst überlassen waren.
Er befürchte, dass "wir das Rennen gegen die Zeit in den kleinen Dörfern verlieren", die im Nordwesten Pakistans durch unpassierbare Strassen von der Aussenwelt abgeschnitten sind. Egeland sagte, die Zahl der eingesetzten Hilfshubschrauber müsse verdreifacht werden. Die internationale Gemeinschaft müsse auch mehr Nahrungsmittel, Medizin, Zelte und Decken zur Verfügung stellen.
"Jeden Tag wird das Ausmass der Verwüstung grösser", erklärte der UN-Koordinator. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind vor Beginn des harten Winters in Kaschmir zwei Millionen Menschen obdachlos.
Ein starkes Nachbeben verhinderte am Donnerstag die Bergung einer verschütteten Frau in Muzaffarabad. Deutsche, britische und türkische Rettungskräfte versuchten bis zwei Uhr nachts, sie zu befreien. Doch als die Erde erneut bebte und das Gebäude ins Schwanken brachte, brachen sie die Arbeit aus Sicherheitsgründen ab. Die Frau starb. Als die Bergungskräfte nach Tagesanbruch zurückkamen, jaulte der Suchhund - ein Zeichen, dass er Leichengeruch wahrnahm. Einige Retter weinten. "Es war eine sehr schwierige Entscheidung, einen lebenden Menschen zurückzulassen", sagte der Brite Steff Hopkins. Doch trage er die Verantwortung für seine Leute: "Es hätte ihren Tod bedeuten können."
Das Nachbeben der Stärke 5,6 versetzte die Überlebenden der Naturkatastrophe in Angst und Schrecken. Vielerorts sei Panik ausgebrochen, berichtete ein Bewohner von Muzaffarabad. In der Hauptstadt des von Pakistan kontrollierten Teils von Kaschmir zogen die Briten ihr 60 Mann starkes Suchteam ab. Dessen Leiter Ron Holden sagte, es sei allen klar, dass die Chancen, noch Überlebende zu finden, gegen Null gingen. Es seien noch 18 internationale Expertenteams in der Region. Das sei genug, um die Suche und Rettung zu beenden. Noch am Mittwoch hatten deutsche und russische Spezialisten zwei Menschen lebend geborgen.
UN-Koordinator Egeland sagte, die Hilfe für die Erdbebenopfer sei angesichts der Zerstörungen bei der Infrastruktur nicht schlecht angelaufen. Zehntausende Zelte, hunderttausende Tonnen Nahrung, eine Million Decken und andere Hilfsgüter seien auf dem Weg. In Pakistan wuchs der derweil die Kritik am Krisenmanagement von Präsident Pervez Musharraf. Die oppositionelle Volkspartei sagte, die Verzögerungen zeugten von Inkompetenz und Versagen. Musharraf verteidigte sich: "Kein Land ist auf so eine Katastrophe vorbereitet", erklärte er am Mittwoch in einer Fernsehansprache. Er räumte Verzögerungen bei Beginn der Hilfsaktionen ein. Doch habe es acht bis zwölf Stunden gedauert, bis Informationen aus den Katastrophengebieten vorgelegen hätten.
Redaktion: APD Schweiz, mit Material von Associated Press (AP).