Aufbau deutscher Freikirchen in schwieriger Zeit

Burbach-Holzhausen/Deutschland | 15.11.2005 | APD | Religion + Staat

"Freikirchen in Deutschland zwischen 1945 bis 1949" lautete das Thema der diesjährigen Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung in Burbach-Holzhausen bei Siegen. Es ging dabei um die Frage, wie sich die Freikirchen direkt nach dem Zweiten Weltkrieg neu formiert hätten und mit dem Erlebten umgingen. Im Eröffnungsreferat befasste sich Gerhard Jordy mit der Brüderbewegung und deren Denkvoraussetzungen, die ähnlich für jede Freikirche gegolten hätten, wie die monarchiefreundliche Haltung, die weitgehende Ablehnung der demokratischen Kräfte, die Zustimmung zu den nationalen Bewegungen und die Akzeptanz Hitlers als Werkzeug Gottes. Die Brüderbewegung habe die Nazidiktatur auch als Bedrohung der eigenen Glaubenspraxis erlebt, etwa in der erzwungenen Vereinigung in einem Bund. Das Ende des Krieges sei untheologisch reflektiert worden, "man verstand schlicht Gottes Führung nicht". Private Schuldbekenntnisse habe es gegeben, ein offizielles Eingeständnis existiere dagegen nicht.

Andrea Grünhagen gab einen Einblick in die Entwicklungsgeschichte der Vorgängerkirchen der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). Die verschiedenen evangelisch-lutherischen Freikirchen hätten das Kriegsende als Strafgericht Gottes erlebt, wenn auch nicht wegen begangener Schuld, sondern wegen der Schwäche der Christen in Deutschland. Ein Schuldbekenntnis sei auch in dieser Kirche nicht entstanden. Stattdessen wären Feindbilder gegenüber Landeskirchen, Katholiken und der liberalen Theologie gepflegt worden.

Emanuel Brandt referierte über die spannungsreiche Entwicklung der Diakonie in den Nachkriegsjahren. Um zu einem gemeinsamen diakonischen Auftrag zwischen den evangelischen Kirchen und Freikirchen zu kommen, habe es damals erste Verhandlungen gegeben, die aber unter schwierigen Vorzeichen gestanden hätten; denn die Vertreter der Freikirchen wären loyale Mitläufer des Dritten Reiches, die Vertreter der evangelischen Kirchen dagegen Mitglieder der Bekennenden Kirche gewesen. Immerhin hätten die Freikirchen 1945 zur Gründung des Hilfswerkes der evangelischen Kirchen eine Einladung erhalten.

Klaus Jakob Hoffmann informierte über die unveröffentlichten Briefe des Dr. Paulus Scharpff, der die Zerstörung Frankfurts am Main und dessen Wiederaufbau als Prediger der Bischöflichen Methodistenkirche erlebte. In ihnen wurden die Entbehrungen und Ängste dieser Zeit deutlich. Karl Heinz Voigt behandelte die Nachkriegszeit der methodistischen Kirchen anhand einer Untersuchung der damaligen Superintendentenberichte. Dabei liesse sich feststellen, dass der Krieg dunkel im Hintergrund lag, die Befreiung durchaus gewürdigt wurde, aber eine positive Sicht der Zukunft noch nicht existierte. Die Zusammenarbeit mit der Militärregierung sei konstruktiv gewesen. Die Amerikaner hätten die Freikirchen als hilfreichen Teil der "re-education", der Umerziehung der Deutschen, geschätzt.

Johannes Hartlapp schilderte, wie die Siebenten-Tags-Adventisten als weltweite Freikirche nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Verhalten adventistischer Leiter während der NS-Zeit umgingen. Zunächst wäre seitens der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) in den USA akzeptiert worden, dass die Adventisten in Deutschland zahlreiche Kompromisse eingegangen seien und sich mit dem Hitler-Regime arrangiert hätten. Denn es sei darum gegangen, die Freikirche samt ihren Institutionen zu schützen und ein Verbot mit Verfolgung der Gemeindeglieder zu vermeiden. Dass diese Befürchtung nicht unbegründet gewesen sei, hätten einzelne befristete Verbote der Glaubensgemeinschaft in verschiedenen Landesteilen gezeigt. Später habe die Generalkonferenz immer stärker kritisiert, dass im Dritten Reich der Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes nicht absolute Priorität gehabt hätte. Der Vorsteher der deutschen Adventisten sei dafür zur Rechenschaft gezogen und seines Postens enthoben worden, ohne dass die Vergangenheit deswegen wirklich aufgearbeitet worden wäre.

Einen anderen Weg sei laut Helmut Schiewe die Herrnhuter Brüdergemeine gegangen. Als ebenfalls weltweite Kirche mit zahlreichen internationalen Verflechtungen habe sie sich tendenziell zur Bekennenden Kirche gehalten, sei aber nicht direkt in den Widerstand gegangen. Unmittelbar nach Kriegsende sei mit der Aufarbeitung der Schuld durch zahlreiche persönliche Schuldbekenntnisse begonnen worden. “Man machte sich selbst zum Vorwurf, dass man die Opposition zum Nazi-Regime nicht konsequent durchgezogen habe und den Weg der Märtyrerkirche gegangen sei.”

Zum Abschluss der Tagung gab Stefan Willi einen Einblick in die Jahre 1948 bis 1951 im Bereich der Pfingstgemeinden. Er habe bei seiner Untersuchung keine Hinweise auf eine Aufarbeitung der NS-Zeit gefunden. "Dagegen ist der Kommunismus scharf verurteilt" und die Versuchungen der "Welt" seien angeprangert worden. Generell hätten andere Themen im Mittelpunkt gestanden: Vor allem eine starke Naherwartung der Wiederkunft Christi sowie erlebte Wundertaten und Prophetien. Die Vorträge werden im Jahrbuch 2005 des Vereins dokumentiert, das zur Frühjahrstagung 2006 erscheinen soll. Weitere Informationen sind im Internet unter www.freikichenforschung.de zu finden.

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