Die aus der Türkei stammende religiöse Gruppe der Aleviten will bei der Islamkonferenz des deutschen Innenministeriums für ihre Anerkennung als eigenständige Religionsgemeinschaft werben.
"Wir möchten als Aleviten wahrgenommen werden und nicht als liberale Muslime", sagte der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V./Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu (AABF), Ali Ertan Toprak, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Die Teilnahme an der "Islam"-Konferenz am 27. September in Berlin und an den Folgetreffen sei wichtig für den Dialog zwischen Staat und Aleviten. Ein Thema dabei soll laut Toprak ein eigener Religionsunterricht sein: "Als Religionsgemeinschaft möchten wir alevitischen Religionsunterricht erteilen".
Toprak zufolge gibt es zwischen dem alevitischen Glauben und der deutschen Rechtsordnung keine Widersprüche. "Wir trennen zwischen unserem Glauben und unseren Pflichten als Staatsbürger", sagte der AABF-Generalsekretär. Anders als im sunnitischen oder schiitischen Islam spiele die islamische Rechtsordnung Scharia im Alevitentum keine Rolle. Deshalb stelle sich für Aleviten auch nicht die Frage, ob Scharia oder Grundgesetz vereinbar seien. "Für uns gibt es kein höheres Gesetzbuch als das Grundgesetz", betonte Toprak. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die Religionsfreiheit seien für die Anhänger der aus der Türkei stammenden Lehre selbstverständlich.
Toprak unterstrich deutlich die Eigenständigkeit der alevitischen Religion. "Der überwiegende Teil der organisierten Aleviten vertritt die Position, dass das Alevitentum ein eigenständiger Glaube ist. Wir verstehen uns als eine Glaubensgemeinschaft, die im islamischen Kulturraum einen eigenständigen Glaubensinhalt entwickelt hat."
"Die alevitischen Glaubens- und Kulturelemente unterscheiden sich fundamental von dem sunnitischen und schiitischen Islam," so Toprak. Der türkische Staat verschweige der Weltöffentlichkeit immer noch die Existenz der Aleviten im Lande und bezeichne fast die gesamte Bevölkerung als türkisch und 99% islamisch. Nach Angaben der AABF leben in der Türkei etwa 23 Millionen Menschen türkischer, turkmenischer, kurdischer und arabischer Herkunft, die sich als Aleviten bezeichnen.
Gemäss Toprak würden die Aleviten im Rahmen der staatlichen Zielsetzung, eine ethnische und religiös homogene Türkei zu schaffen, bis heute gezielt "sunnitisiert". So versuche die Mehrheit der türkischen Sunniten und der Staat die Aleviten nach dem Motto "Wir sind alle Muslime!" zu negieren und Einheit zu demonstrieren.
Der türkische Staat unterhalte seit Gründung der Republik ein "Amt für religiöse Angelegenheiten" (DIYANET), mit einem Ableger in Deutschland (TIB), obwohl die Türkei nach der Verfassung laizistisch sei. Dieses Amt vertrete jedoch ausschliesslich die sunnitische Glaubensrichtung im Islam, so z.B. durch die Bereitstellung von Personal (Imame) sunnitischen Glaubens für religiöse Dienste und die Befreiung der Moscheen von Strom- und Wassergebühren.
Die Existenz der alevitischen Bevölkerung werde durch das DIYANET nicht wahrgenommen, denn es würden weder alevitische Gebetsstätten (Cemhaus) noch Gelehrte der Aleviten (Dede) gefördet.
Mit den islamischen Dachverbänden gibt es Toprak zufolge keine Zusammenarbeit. Ursache dafür seien die fundamentalen Unterschiede in der Theologie der Aleviten gegenüber den Glaubenslehren der Sunniten und Schiiten. "Wir kommen aus einem islamischen Kulturkreis, aber wir haben unsere eigenen Glaubensinhalte entwickelt", sagt der AABF-Vertreter. "Damit ecken wir bei den islamischen Verbänden an."
Nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums leben in Deutschland rund 500.000 Aleviten. Der Dachverband AABF spricht von etwa 700.000. Allerdings ist nur ein Teil von ihnen in Vereinen organisiert. Zur AABF mit Hauptsitz in Köln gehören laut eigenen Angaben bundesweit 107 lokale Mitgliedsvereine. Mehr als 60 Prozent der eingeschriebenen Mitglieder haben Toprak zufolge mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.
In der Schweiz leben etwa 30.000 Aleviten, die in der Föderation der alevitischen Gemeinden in der Schweiz/Ýsviçre Alevi Birlikleri Federasyonu (FAGS), mit 10 Vereinen, organisiert sind.
Der alevitische Dachverband in Österreich ist die Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich e.V./Avusturya Alevi Birlikleri Federasyonu (AABF) mit 8 Vereinen und knapp 2.000 Mitgliedern. Nach Schätzungen leben etwa 60.000 Aleviten in Österreich, wovon rund 30% die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.
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Stichwort: Alevitische Gemeinde
Die alevitische Gemeinde ist durch die Bindung an einem bestimmten Geistlichen (Dede bzw. Pir), die aus verschiedenen Geistlichenhäusern (Ocak) stammen, organisiert. Die Religionsgemeinschaft der Aleviten bekennt sich eindeutig zum laizistisch-demokratischen Staat.
Die Aleviten beten jeden Abend individuell zu Hause und am Donnerstagabend in der Gemeinde, der Cemversammlung. Sie gehen nicht in die Moschee, sondern haben in der Regel eigene Kultstätten (Cemevi). Der Kult der Aleviten ist durch gegenseitige Versöhnung, Musik und Tanz beider Geschlechter ausgezeichnet. Die Aleviten fasten nicht im Monat Ramadan, sondern 12 Tage im Monat Muharrem. Sie pilgern nicht nach Mekka. Das Ziel des alevitischen Ethos ist die Annäherung an Gott.
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