Religiöser Fanatismus ist einer neuen Studie zufolge nicht die Hauptursache für politische Gewalt und Terrorismus. Vielmehr seien Armut, Misswirtschaft und Unterdrückung die zentralen Gründen, wie die Bertelsmann Stiftung am 21. November in Gütersloh mit Verweis auf eine weltweite Untersuchung mitteilte.
Laut der neuen Studie ist die Zahl der Terroranschläge und Opfer in den vergangenen Jahren weltweit um mehr als das Dreifache gestiegen. Der geographische Schwerpunkt von gewalttätigen Konflikten und politischer Militanz lag den Angaben zufolge eher in Asien als im Nahen und Mittleren Osten. Der Studie zufolge stieg die Zahl der Terroranschläge in den vergangenen fünf Jahren von 700 auf 2.200 pro Jahr an, die Zahl der dabei getöteten und verletzten Menschen von 4.000 auf 13.000.
Der religiös motivierte, Staaten übergreifende Terrorismus nehme zwar zu, sei aber nicht das Hauptmotiv politischer Gewalt. So seien nur 26 Prozent aller terroristischen Gruppen weltweit dem religiösen - und dabei vor allem dem islamistischen - Extremismus zuzuordnen. Dies entspreche in etwa dem Anteil linksextremistischer militanter Organisationen. Den grössten Anteil an politischer Gewalt haben demnach mit 36 Prozent nach wie vor nationalistische und separatistische Bewegungen.
Während die Zahl der Konflikte insgesamt weltweit gestiegen sei, habe das Ausmass der Gewalt abgenommen, erbrachte die Studie. 80 Prozent aller terroristischen Anschläge entfallen demnach auf eine Kerngruppe von Staaten: Russland mit Tschetschenien, Kolumbien, Irak sowie die Länderdreiecke Indien-Kaschmir-Pakistan und Thailand-Philippinen-Indonesien. "Auch wenn unsere Bedrohungswahrnehmung aufgrund der Anschläge in New York, London und Madrid eine andere ist, so wird politische Gewalt im Regelfall dort ausgeübt, wo sie aufgrund von sozialer Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung von benachteiligten Gruppen auch entsteht", hob der Autor der Studie, Aurel Croissant von der Universität Heidelberg, laut Bertelsmann Stiftung hervor.
Als wesentliche Ursachen politischer Gewalt werden in der Studie Armut, ethnische Spaltung, Staatsschwäche, Mängel des politischen Systems und externe Intervention angegeben. "Unsere einseitige Aufmerksamkeit auf den islamistischen Terrorismus und den Mittleren Osten verstellt den Blick des Westens auf die eigentlichen Ursachen der politischen Gewalt sowie geeignete Ansätze ihrer Bekämpfung", folgerte Hauke Hartmann, Projektleiter der Bertelsmann Stiftung. Abschottung und Kontrolle würden allein keine umfassende Sicherheit bieten können. Vielmehr müsse sich die westliche Entwicklungspolitik verstärkt mit Armutsbekämpfung, Demokratieförderung und Unterstützung guter Regierungsführung befassen. Zum Konfliktmanagement in Form von Deeskalation und Wiederaufbau müssten daher umfassende und nachhaltige Entwicklungsstrategien treten.
Autoren dieser Studie sind Prof. Dr. Aurel Croissant und Nicolas Schwank vom Institut für Politische Wissenschaft an der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg. Die Studie "Gewalt und Extremismus" ist im Rahmen des Bertelsmann Transformations Index (BTI) 2006 entstanden. Der BTI erhebt alle zwei Jahre Daten und Berichte zum Stand von Demokratie und Marktwirtschaft sowie zur Qualität der politischen Führung in 119 Ländern.