Im Auftrag der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) hat der deutsche evangelikale Theologe und Religionssoziologe Thomas Schirrmacher das geistliche Oberhaupt der orthodoxen Christen, den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., besucht. Das einstündige Gespräch fand im Arbeitszimmer des Patriarchen im Phanar statt.
Das Gespräch führte Professor Schirrmacher als Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA). Dabei überbrachte er Grüsse des Generalsekretärs der WEA, Geoff Tunnicliffe, und versicherte dem Patriarchen die Solidarität der weltweiten evangelikalen Gemeinschaft. Durch die fehlende Religionsfreiheit im Lande und angesichts vieler staatlicher Hindernisse befindet sich der Patriarch in einer bedrängten Situation. Die Evangelische Allianz setze sich seit über 150 Jahren für die Religionsfreiheit und damit auch für die alteingesessenen Kirchen der Türkei ein. Die Allianz sei dafür schon im 19. Jahrhundert beim türkischen Sultan vorstellig geworden, so Schirrmacher.
Wichtiges Gesprächsthema war die gegenseitige Information über den Stand der Arbeit an einem Verhaltenskodex für Missionsaktivitäten im Zusammenhang mit der Bekehrung zum Christentum, mit deren Ausarbeitung sich derzeit eine Projektgruppe mit Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), des Päpstlichen Rates für Interreligiösen Dialog (PRID) im Vatikan sowie der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) beschäftigt. Schirrmacher informierte sich in diesem Zusammenhang auch über einen Angriff eines evangelikalen Autors auf den orthodoxen Patriarchen in der türkischen Presse und sagte zu, auf die Bereinigung des Vorfalls hin zu arbeiten.
Patriarch Bartholomaios I. berichtete Schirrmacher über seinen kürzlichen Antrittsbesuch beim neuen türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Die Griechisch-Orthodoxen Christen seien loyale Staatsbürger, die sich nicht in die Politik einmischen wollten, sondern lediglich die gleichen friedlichen Rechte wie alle anderen wünschten.
Der Patriarch brachte Schirrmacher gegenüber den Dank zum Ausdruck, dass sich Regierung, Kirchen und Christen in Deutschland immer wieder für das Patriarchat einsetzten. So seien der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder und die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls bei ihm gewesen und hätten ihm ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht.
Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel ist das geistliche Oberhaupt aller orthodoxen Kirchen mit weltweit etwa 300 Millionen Christen. Er hat den Ehrenvorrang vor allen anderen orthodoxen Patriarchen inne, ist aber in seinem Wirken durch die türkische Regierung stark eingeschränkt, die ihn lediglich als Oberhaupt der rund 3.000 griechisch-orthodoxen Christen in Istanbul sieht.
Das "Ökumenische Patriarchat" repräsentiert ein Jahrhunderte altes Erbe der byzantinischen Geschichte. In früheren Zeiten lenkte es die Geschicke der Kirchen des gesamten Orients, Russlands, Osteuropas und Griechenlands. Doch durch die Trennung von Ost- und Westkirche im 11. Jahrhundert, die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen im 15. Jahrhundert und die wieder auflebenden nationalistischen Tendenzen des 19. Jahrhunderts erfuhr es eine zunehmende Schwächung seines Einflusses. Obwohl die griechisch-orthodoxe Minderheit in der Türkei langsam zahlenmässig abnimmt, ist das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel unter Bartholomaios I. in unserer heutigen Zeit nach wie vor das Weltzentrum der Orthodoxie.