Der Appell von US-Präsident Barack Obama vor dem türkischen Parlament in Ankara, das griechisch-orthodoxe Seminar und die theolgische Hochschule auf der Marmara-Insel Chalki wieder zu öffnen und die Versöhnung mit Armenien weiterzuführen, haben - laut Kathpress - in der Türkei grosses mediales Echo gefunden. "Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit führen zu einer starken Zivilgesellschaft, die den Staat nur stärken kann", hatte Obama, der in Istanbul mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. ein Vier-Augen-Gespräch geführt hatte, in seiner Rede erklärt. Schritte wie die Wiedereröffnung des Seminars in Chalki wären "ein wichtiges Signal in der Türkei und darüber hinaus", so der US-Präsident.
Die Tageszeitung "Sabah" bezeichnete die Rede Obamas vor dem türkischen Parlament in Ankara als ein "Manifest". Der US-Präsident habe drei grundsätzliche Anliegen an Ankara formuliert: eine Öffnung der Grenzen zwischen der Türkei und Armenien werde beiden Nachbarn zum Vorteil gereichen; die Vorgänge von 1915 sollten im Parlament von Ankara erörtert und von beiden Völkern solle gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden; Religionsfreiheit werde zu einer lebendigen Zivilgesellschaft führen - ein erster Schritt wäre die Öffnung des orthodoxen Seminars, fasste "Sabah" zusammen.
Die Zeitung "Vatan" hob ebenfalls die Forderungen hervor, die Obama in zwei delikaten Angelegenheiten an die Türkei herantrug - einerseits die Wiedereröffnung der orthodoxen Theologischen Akademie auf der Insel Chalki und andererseits die Ereignisse von 1915. "Die Vereinigten Staaten unterstützen mit aller Kraft die volle Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien", zitierte "Vatan" aus der Rede Obamas.
Das regierungskritische Blatt "Vatan", das allerdings nicht zum einflussreichen Dogan-Konzern gehört, vermerkte auch, der neue NATO-"General" Rasmussen habe keine Entschuldigung mitgebracht, aber betont: "Keine religiöse Persönlichkeit, einschliesslich des Propheten Mohammed, sollte dazu benützt werden, Menschen zu irritieren".
Das Vier-Augen-Gespräch des US-Präsidenten mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. war auch als Zeichen gedacht. Es sollte unterstreichen, dass die USA den Patriarchen als universalkirchlichen Repräsentanten anerkennen. Die Regierung in Ankara verweigert Bartholomaios I. nach wie vor diese Anerkennung und behandelt ihn lediglich als Oberhaupt der orthodoxen Christen in der Türkei.
In den Vereinigten Staaten gibt es etwa zehn Millionen Orthodoxe, in erster Linie griechischer und russischer Abstammung. Als erstes Oberhaupt der Weltorthodoxie hatte der 1991 verstorbene Vorgänger von Bartholomaios I., Patriarch Dimitrios I., im Juli 1990 die USA besucht. Er wurde vom damaligen Präsidenten George Bush sr. im Weissen Haus empfangen, war Gast des US-Kongresses, zelebrierte vor dem Lincoln Memorial einen feierlichen Gottesdienst und besuchte auch den Sitz der Vereinten Nationen in New York. Der 1972 verstorbene Ökumenische Patriarch Athenagoras I. war von 1931 bis zu seiner Wahl im Jahr 1948 Erzbischof von Amerika mit Sitz in New York.
Die Europäische Kommission forderte die Türkei wiederholt dazu auf, wirksame Massnahmen zu ergreifen, um die prekäre Lage der nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Bartholomaios I. musste sich wegen "Amtsanmassung" vor Gericht verantworten. In ihrer Kritik an fehlenden Fortschritten bei der Überwindung der Schwierigkeiten religiöser Minoritäten hatte die EU-Kommission die türkische Regierung aufgefordert, Bartholomaios die Verwendung seines Titels "Ökumenischer Patriarch" nicht weiter zu untersagen. Der Verbleib des Patriarchats an seinem angestammten Sitz, dem Phanar in Istanbul, war 1923 durch den Vertrag von Lausanne zwischen den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und der Türkei geregelt worden.
Der am 29. Februar 1940 auf Imbros, in der heutigen türkischen Provinz Çanakkale geborene Patriarch Bartholomaios I., mit bürgerlichem Namen Dimitrios Archondonis, ist seit 1991 griechisch-orthodoxer "Ökumenischer Patriarch" von Konstantinopel mit Sitz im Istanbuler Stadtteil Fener. Er ist der 270. Nachfolger des Apostels Andreas und somit faktisches (Ehren-)Oberhaupt von rund 300 Millionen orthodoxen Christen in aller Welt.