Die christlichen Kirchen in Deutschland haben während der letzten Jahre in ökumenischer Zusammenarbeit immer wieder versucht, den Sonntag ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Orthodoxe Kirche in Deutschland (OKiD) legten kürzlich in Regensburg einen Text vor, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede im römisch-katholischen und ostkirchlichen Verständnis des "Sonntags" dargelegt werden.
Das Dokument "Das Kirchenjahr in der Tradition des Ostens und des Westens - Der Sonntag - 'Urfeiertag' der Christen" wurde von der Gemeinsamen Kommission DBK/OKiD unter Leitung von Bischof Gerhard Ludwig Müller (Regensburg) und Metropolit Augoustinos (Lambardakis) von Deutschland (Dortmund) herausgegeben. Der Text ist ein Aufruf der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche in Deutschland die Bedeutung des Sonntags wiederzuentdecken.
Die beiden Kirchen stellen im Papier gemeinsam fest, dass sowohl Jesus als auch die aus dem Judentum kommenden ersten Christen "dem Gesetz des Alten Testaments entsprechend" zunächst den Sabbat" weiter feierten. Allerdings habe der christliche Sonntag einen eigenen Ursprung und könne deshalb nicht ohne Weiteres aus dem Sabbat abgeleitet werden. Vielmehr gebe es einen klaren Unterschied zwischen dem Sabbat und dem christlichen Sonntag.
Ausgehend von der Sabbatkritik Jesu, die sich gegen Tendenzen zur Formalisierung der Sabbatheiligung, nicht aber gegen den Sabbat überhaupt richtete (vgl. Mk 2,23-28; 3,1-6), sei es sehr bald zu einer Differenzierung zwischen Sonntag und Sabbat gekommen. So werde der Sonntag zum wöchentlichen Feiertag der Gemeinde. Dafür gebe es viele Zeugnisse innerhalb und außerhalb der Kirche (vgl. z. B. Plinius-Brief 10,96; Barnabas-Brief 15,9, Ignatius von Antiochien an die Magnesier 9,1). Der hl. Justin der Märtyrer († 165) schreibe in seiner ersten Apologie: "Am Sonntag halten wir alle gemeinsam die Zusammenkunft, weil es der erste Tag ist, an dem Gott die Finsternis und den Urstoff umwandelte und die Welt erschuf, und weil an diesem Tag Jesus Christus, unser Erlöser, von den Toten wieder auferstanden ist" (Erste Apologie 67,7). Justin stütze sich hier auch auf zwei Perikopen des Johannesevangeliums, wonach der Auferstandene seinen Jüngern jeweils am ersten Tag der Woche erschien (Joh 20,19-23.24-29). Für Tertullian († nach 220) sei die herausgehobene Bedeutung des Sonntags eindeutig, wenn er schreibe: "Am Sonntag halten wir es für ein Unrecht, zu fasten oder auf den Knien zu beten" (De corona militis 3).
Hinsichtlich der Heiligung des Sonntags heisst es in dem Dokument: "In der römisch-katholischen Kirche entwickelte sich das 'Sonntagsgebot' als Gewissensverpflichtung, am Sonntag die Eucharistie mitzufeiern. Diesem Gebot entspricht auf orthodoxer Seite die Empfehlung, jeden Sonntag an der Göttlichen Liturgie teilzunehmen. Beiden liegt der Auftrag Jesu zugrunde: 'Tut dies zu meinem Gedächtnis' (1 Kor 11,24; Lk 22,19)." Es gehe jedoch bei der Heiligung des Sonntags beileibe nicht um eine kultische oder rituelle Formsache. "Der Sonntag hat auch die Aufgabe des Schutzes vor einer weitgehenden oder totalen Ökonomisierung des Menschen. (…) So ist der Sonntag eine Form, Zustimmung zur Welt und zum Leben im ganzen, einen Tag der Orientierung, der Vergewisserung des Lebenssinnes und der Öffnung auf Transzendenz und Gott hin zu gewinnen. Insofern ist die Feier des Sonntags, gerade wenn es auch um das Freiwerden von Zwängen geht, ein Erfordernis der Menschenwürde, ein Protest gegen die Vermarktung des Menschen und gegen die Versklavung durch die Arbeitswelt."
Das Dokument weist ferner auf den Reichtum von Formen der Sonntagsheiligung und stellt fest: "Aus der Eucharistiefeier als der wesentlichen Form der Sonntagsheiligung folgt: Der Sonntag ist Tag der Gemeinschaft und der Familie. Angesichts des Reichtums von Formen der Sonntagsheiligung in Volksfrömmigkeit und Brauchtum bleibt die Suche nach zeitgemäßen Formen der angemessenen Gestaltung des Sonntags stets aktuell. Ob gemeinsame Familiennachmittage mit Spielen oder Gesprächen, Besuche der Eltern oder Großeltern, Pflege der Gemeinschaft mit Freunden und Nachbarn, Krankenbesuche oder der Gang auf den Friedhof den Sonntag prägen, oder ob wir auf andere Weise gegen die Vereinsamung tätig werden und Kontakt zu unseren Mitmenschen suchen, immer gilt: Auch die Freizeitgestaltung der Christen kann und soll unter dem Aspekt der Heiligung des Sonntags stehen.
Für den orthodoxen Metropoliten Augoustinos sind die kirchlichen Feiertage und Sonntage - als Schnittmenge zwischen dem säkularen und dem kirchlichen Kalender - der signifikante Ausdruck einer seit Konstantin dem Großen öffentlich gewordenen christlichen Kultur. Es bedürfe jedoch "in einer sich immer radikaler verweltlichenden Welt einer neuen Anstrengung der Kirchen, die kirchliche, die transzendente Dimension der Weltzeit zu vermitteln, um, so gut es geht, das verständlich zu machen, was längst nicht mehr selbstverständlich ist," betonte der Theologe.
Der Metropolit wies auch auf die Schutzbedürftigkeit des Sonntags hin und sagte wörtlich: "In den letzten Jahren haben die vielfältigen öffentlichen Auseinandersetzungen um den Charakter des Sonntags als eines auch gesetzlich garantierten Ruhetags deutlich gezeigt, wie fragil und erklärungsbedürftig heutzutage etwas geworden ist, was mehr als eineinhalb Jahrtausende lang zum unbefragten Fundament der öffentlichen Ordnung eines Lebensgefüges gehörte, das europäisch war – auch und sogar weit jenseits dieses Kontinents, auf dem wir leben."
Mit dem Text über den Sonntag legte die Gemeinsame Kommission von DBK und OKiD ein erstes Ergebnis ihrer Arbeit vor. Weitere Texte etwa über den Osterfestkreis, Weihnachten sowie über die unterschiedlichen Kalender, die in beiden Kirchen Verwendung sind, sollen folgen.