Bei der Vorstellung des "Ökumenischen Lageberichts 2010" an der 102. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Berlin wies deren Generalsekretär Walter Fleischmann-Bisten auf die Erkenntnis hin, dass eucharistische Gastbereitschaft keine theologische Willkür einzelner Kirchen sei, sondern die Einsicht, dass nach den Berichten der Bibel kein getaufter Christ vom Herrenmahl ausgeschlossen werden könne, egal aus welcher konfessionellen Tradition er komme.
Dem Gedanken der Katholizität der ganzen Christenheit sei daher, so der Theologe, neue Aufmerksamkeit zu schenken. Ebenso gelte die Erkenntnis, dass nach reformatorischem Verständnis die Kirchen mit Recht Frauen in alle Ämter berufen könnten.
An der 102. Generalversammlung des Evangelischen Bundes, die vom 7. bis 10. Oktober unter dem Motto "Evangelische Freiheit" in Berlin tagt, geht es in Vorträgen, Bibelarbeiten und Arbeitsgruppen um "Erbe und Auftrag der Liberalen Theologie im 21. Jahrhundert".
Vor rund 150 Teilnehmenden nahm Walter Fleischmann-Bisten, in seiner Eigenschaft als Leiter des zum Evangelischen Bund gehörenden Konfessionskundlichen Instituts Bensheim, auch Stellung zu den verschiedenen öffentlich stark beachteten kirchlichen Rücktritten des Jahres 2010.
Wie unterschiedlich in einer evangelischen Landeskirche und einer Diözese der römisch-katholischen Kirche bischöfliche Rücktritte im Zusammenhang eines Missbrauchskandals entstanden, begründet und vollzogen wurden, machte er an den höchst unterschiedlichen Umständen im Falle des Augsburger Bischofs Walter Mixa und der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen fest: Nachdem schrittweise immer neue und schwerwiegende Vorwürfe von körperlicher Gewalt, sexuellen Übergriffen und Alkoholsucht bekannt wurden, galt der seit langem in die öffentliche und ökumenische Kritik geratene Mixa selbst in seiner eigenen Diözese als nicht mehr tragbar. Fleischmann-Bisten nannte es unerklärlich, warum sich das Rücktrittsgesuch und die Annahme desselben durch Benedikt XVI. so lange hinzog. Der Rücktritt der lutherischen Bischöfin Maria Jepsen als Leitende Geistliche des Sprengels Hamburg-Lübeck der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche ging auf eine Veröffentlichung des "Spiegel" im Zusammenhang eines seit längerer Zeit bekannten und schwerwiegenden Falls von jahrzehntelangem sexuellem Missbrauch durch einen Pastor ihrer Kirche zurück. Der Vorwurf der Untätigkeit der Bischöfin erwies sich als nicht haltbar. In ihrer Begründung des Rücktritts übernahm sie dennoch die volle Verantwortung, weil ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt wurde. Maria Jepsen war 1992 zur weltweit ersten Bischöfin einer lutherischen Kirche gewählt worden.
Moderne wissenschaftlich fundierte Theologie ohne Melanchthon nicht denkbar
Im Gedenkjahr des 450. Todestages des Reformators Philipp Melanchthon erinnerte Walter Fleischmann-Bisten auch an dessen Wirken, das viel zu lange nur im Schatten Martin Luthers wahrgenommen wurde. Dabei sei die moderne wissenschaftlich fundierte Theologie ohne Melanchthons Wirken nicht denkbar, der schon im sechzehnten Jahrhundert erkannt habe: "Denn für die Städte sind nicht die Bollwerke oder Mauern zuverlässige Schutzwälle, sondern die Bürger, die sich durch Bildung, Klugheit und andere gute Eigenschaften auszeichnen. Denn die Religion und die heiligen Schriften können nicht überdauern, wenn ihr sie nicht mit Hilfe der Wissenschaften bewahrt."