Juristische Kritik an dem seit 1998 in Österreich geltenden "Zweistufensystem", das den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und den religiösen Bekenntnisgemeinschaften, darunter den Freikirchen, unterschiedliche Rechte zumisst, stand im Mittelpunkt einer Tagung zum Thema "Religionsfreiheit in Österreich - Zwischen Privilegierung und Diskriminierung" am 18. Oktober im Juridicum der Universität Wien. Die Bekenntnisgemeinschaften besitzen zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch nicht die Privilegien und Pflichten anerkannter Religionsgemeinschaften, etwa im Arbeits- und Sozialrecht, im Schulwesen oder im Steuerrecht.
Zu den Veranstaltern der Tagung zählten das Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität, die Österreichische Gesellschaft für Kirchenrecht und die Österreichische Kommission "Iustitia et Pax". Verschiedene Kirchenrechtsexperten plädieren an der Veranstaltung für eine Reform des derzeit gültigen staatlichen Religionsrechts. So plädierte Rechtsanwalt Peter Krömer für eine "Anpassung" des Zweistufensystems, das dem europäischen Standard in der Religionsgesetzgebung nicht entspreche. Der Rechtsbeistand mehrerer Freikirchen und freikirchlicher Organisationen, der zugleich Präsident der Synode A.B. und der Generalsynode ist, nannte zahlreiche Beispiele für gesetzliche Regelungen, die nicht gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften gegenüber gesetzlich anerkannten benachteiligen. Der Wiener Kirchenrechtler Prof. Richard Potz wies gegenüber "Kathpress" darauf hin, dass für die Bekenntnisgemeinschaften derzeit keine faire Möglichkeit bestehe, den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu erreichen. Er kritisierte u.a. die Mindest-Mitgliederzahl von 16.000, die viel zu hoch angesetzt sei. Die österreichische Regelung sei auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg mehrmals verurteilt worden, erinnerte Potz. Deshalb brauche es eine Revision des derzeitigen Gesetzes. Die anerkannten Kirchen, allen voran die römisch-katholische und die evangelische Kirche, sollten von sich aus aktiv werden und grundrechtskonforme Lösungen erarbeiten, so Potz.
Erst nach einer zehnjährigen Wartefrist kann einer eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft der Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft zuerkannt werden. Anerkennungsvoraussetzung ist überdies eine Mitgliederzahl von mindestens 16.000, was zwei Promille der österreichischen Bevölkerung entspricht (nach diesen Bestimmungen hätten etwa die Israelitische Gemeinde und die buddhistische Religionsgemeinschaft heute keine Chance mehr, anerkannt zu werden.)
Die Kirchenrechtler Prof. Raoul Kneucker, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht, und Prof. Heinrich Schneider von "Iustitia et Pax" schlugen bei der Tagung in die selbe Kerbe wie Prof. Potz. Vor allem die in Österreich vertretenen Freikirchen fühlten sich diskriminiert, so Schneider, und diese Situation sollte für alle Kirchen Anlass sein, sich aktiv für eine Verbesserung einzusetzen. Schneider wie auch Kneucker sprachen von einem "wichtigen ökumenischen Signal".
Auch der Wiener Ostkirchenexperte Prof. Rudolf Prokschi hob im "Kathpress"-Gespräch die ökumenische Dimension der Initiative hervor. Als Vertreter der römisch-katholischen Kirche wolle er von einer Annäherung zu den Freikirchen sprechen. Viele dieser Kirchen hätten Interesse an mehr Zusammenarbeit, zugleich sei ihr Wunsch nach einem besseren rechtlichen Status nur allzu berechtigt. Prokschi nahm an der Tagung in seiner Funktion als Vorsitzender der Diözesankommission für ökumenische Fragen der Erzdiözese Wien teil.
Die Juristin Brigitte Schinkele vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht betonte, dass es für die Benachteiligung der religiösen Bekenntnisgemeinschaften in vielen Bereichen keine sachliche Rechtfertigung gebe. Grundsätzlich sei eine Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlicher Stellung und solchen mit nur privatrechtlicher Stellung ein durchaus tragfähiges Konzept. Es brauche aber rechtlich klare Regelungen, sowohl hinsichtlich der Zugangsbestimmungen wie auch hinsichtlich der mit dem jeweiligen Status verbundenen spezifischen Rechtsfolgen.
Eine generelle Wartepflicht von zehn Jahren auch bei international etablierten Gemeinschaften sei beispielsweise nicht gerechtfertigt. Das gleiche gelte auch für die Zwei-Promille-Hürde. Wenn der Gesetzgeber mit dem Gesetz von 1998 einer "Sektengefahr" vorbeugen wollte, dann sei dies ein Versuch mit untauglichen Mitteln gewesen, so Schinkele.
Pastor Walter Klimt, Generalsekretär der Baptistengemeinden in Österreich, wies in diesem Zusammenhang etwa darauf hin, dass seine Freikirche mit weltweit rund 120 Millionen Mitgliedern zu den grössten reformatorischen Kirchen der Welt gehöre. Die Baptisten seien zudem seit 141 Jahren in Österreich tätig. Trotzdem gebe es keine Chance auf den Status als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft.
Prof. Karl Schwarz vom Kultusamt schlug in seinem Votum ein Bundesgesetz über die Rechtsstellung der evangelikalen Freikirchen vor. Anknüpfungspunkte dafür seien die 1880 erfolgte gesetzliche Anerkennung der Herrnhuter Brüderkirche sowie die Anerkennung der Evangelisch-methodistischen Kirche im Jahr 1951.
Derzeit gibt es 14 anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich: katholische Kirche, evangelische Kirche A.B. und H.B., griechisch-orthodoxe Kirche, Israelitische Kultusgemeinde, Islamische Glaubensgemeinschaft, koptisch-orthodoxe Kirche, altkatholische Kirche, methodistische Kirche, Mormonen, armenisch-apostolische Kirche, Neuapostolische Kirche, syrisch-orthodoxe Kirche, buddhistische Religionsgemeinschaft sowie Zeugen Jehovas. Als Bekenntnisgemeinschaften sind derzeit u.a. die Bahais, Baptisten, die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten und Evangelikale registriert.