Mindestens 20 Polizisten, darunter auch der örtliche Polizeichef, haben am Samstag, 12. Mai bei einer Razzia die Gottesdienstbesucher der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten im Stadtteil Kapaz von Gyanja, der zweitgrössten Stadt in Aserbaidschan, überprüft. Laut der norwegischen christlichen Menschenrechtsorganisation „Forum 18" in Oslo, beteiligte sich auch Firdovsi Kerimov, örtlicher Leiter des staatlichen Komitees für religiöse Angelegenheiten daran. Er habe seine Teilnahme an der Razzia gegenüber Forum 18 aber verneint.
Suche nach Ausländern
Die Polizei habe kurz nach Beginn des Gottesdienstes zunächst nach Ausländern gesucht und die Dokumente aller Anwesenden kontrolliert, so Forum 18. Ausländer dürften zwar an religiösen Veranstaltungen teilnehmen, riskierten aber Bestrafung und Ausschaffung ohne Gerichtsprozess, wenn sie ohne staatliche Bewilligung religiöse Aktivitäten durchführten. Die Bestimmungen des Religionsgesetzes, seien sehr vage und unspezifisch.
Überprüfung von 50 Kindern
Als die Polizei keine Ausländer gefunden habe, seien laut der Menschenrechtsorganisation alle rund 50 anwesenden Kinder überprüft worden, ob sie eine von beiden Elternteilen unterzeichnete Erlaubnis vorweisen könnten, an einer kirchlichen Versammlung anwesend sein zu dürfen. Wie Forum 18 meldet, sei dies laut dem Religionsgesetz aus dem Jahr 2009 zwar keine Vorschrift mehr. Staatliche Beamte forderten diese Bescheinigung der Eltern aber oft von Kindern in Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sie nicht mögen.
Vierzehn Kinder und deren Eltern, die das erste Mal an einem adventistischen Gottesdienst anwesend waren, hätten keine schriftliche Einwilligung gehabt. Nach einigen Stunden der Befragung sei den vierzehn Kindern mitgeteilt worden, dass gegen die Eltern Anklage erhoben werde und wegen der fehlenden schriftlichen Einwilligungen mit Bussen zu rechnen sei. Es habe schon Fälle gegeben, so protestantische Informanten gegenüber Forum 18, bei denen die Eltern zuerst ihre Unterschriften hätten notariell beglaubigen lassen müssen.
Empfindliche Busse
Mindestens ein adventistisches Kirchenmitglied sei Tage nach der Razzia vorgeladen und beschuldigt worden, gegen Artikel 299.0.3 des Kodex der Ordnungswidrigkeiten verstossen zu haben. Dieser Artikel beschreibe Strafen für „Geistliche als auch für religiöse Gemeinschaften, die besondere religiöse Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche abhalten.“ Der beschuldigte Adventist sei ohne den Umweg über einen Gerichtsprozess zu einer Busse von 1.700 Manat verurteilt worden (2040 Franken / 1.700 Euro), dies bei einem durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 3.530 Franken (2.940 Euro).
Laut Forum 18 habe die Razzia bei den Adventisten zwei Wochen nach einer Durchsuchung im Heim eines Jehovas Zeugen in Sumgait, 20 Kilometer nördlich von Baku, stattgefunden. In dessen Haus sei religiöse Literatur beschlagnahmt worden. Die Polizei in Sumgait habe gegenüber Forum 18 angegeben, dass "keine Razzia stattgefunden habe.“ Obwohl die Verfassung Aserbaidschans formell Religionsfreiheit zusichere, komme es laut der Menschenrechtsorganisation immer wieder zu Polizeimassnahmen wegen „illegaler Gottesdienste“ auch in Privathäusern.
In Aserbaidschan leben rund 9,5 Millionen Einwohner, davon werden 93.4 Prozent zum Islam, mehrheitlich schiitischer Ausprägung gezählt; 2,5 Prozent sind Russisch-Orthodox; 2,3 Prozent Armenisch-Orthodox und 1.8 Prozent sind Anhänger anderer Religionen oder Konfessionen. Es gibt schätzungsweise 7.000 Protestanten und eine römisch-katholische Kirche mit 390 Mitgliedern. Die Jehovas Zeugen haben sieben Gemeinden mit 924 Mitgliedern.
In Aserbaidschan sind die Adventisten seit über einhundert Jahren vertreten. Gegenwärtig gibt es 729 erwachsen getaufte Siebenten-Tags-Adventisten in fünf Gemeinden, die von drei Pastoren betreut werden.
Am 26. Mai findet in der Hauptstadt Baku der Eurovision Song Contest 2012 statt.