Als "Fehlurteil" hat der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, das Gerichtsurteil in Deutschland zur religiösen Beschneidung von Buben kritisiert, meldete Kathpress. Bei einer Tagung zum Thema "Religionsfreiheit" in Salzburg, zum 25-jährigen Bestehen des Österreichischen Instituts für Menschenrechte, habe am 7. Juni der deutsche Philosoph, Theologe und Historiker kritisiert, dass die Kölner Richter ihrer Sorgfaltspflicht bei der Abwägung zwischen dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit und dem gebotenen Schutz eines Kindes, nicht gerecht geworden seien. "Die Religionsfreiheit kommt in diesem Urteil nicht angemessen vor", sagte Bielefeldt, "und dort, wo sie vorkommt, wird sie verdreht".
Auch die medizinische Beurteilung der Auswirkungen einer Beschneidung sei vom Kölner Landgericht trotz vieler unterschiedlicher Ansichten von Experten in dieser Frage, "sehr rasch" mit Köperverletzung beantwortet worden. Nach Angaben von Kathpress habe Bielefeldt explizit auf die Unterschiede zu anderen Fällen hingewiesen: Eltern, die möglicherweise eine lebensrettende Bluttransfusion bei ihren Kindern verweigerten oder auf die Genitalverstümmelung bei Frauen. Beim Thema "Bluttransfusion" stehe das "Recht auf Leben" deutlich über der Religionsfreiheit. Auch könne Religionsfreiheit niemals ein Rechtfertigungsgrund für Genitalverstümmelung sein, so Bielefeldt.
Der UN-Experte erinnerte daran, dass Religionsfreiheit eindeutig das Recht von Eltern auf die religiöse Sozialisation ihrer Kinder beinhalte. Für viele Eltern sei die Beschneidung ein so wichtiges Anliegen, dass sie auch bei einer Strafandrohung nicht auf deren Durchführung verzichten würden.
Laut Kathpress wertete der Menschenrechtsexperte das Argument der Kölner Richter als "bizarr“, wonach durch die Beschneidung die Religionsfreiheit des Kindes verletzt werde, weil es dadurch später nicht mehr selbst entscheiden könne, welcher Religion es angehören wolle. Bielefeldt: "Wenn das stimmen würde, hätte das Christentum nie existieren können, denn die ersten Christen waren auch alle beschnitten."
Unterstützung habe der UN-Sonderberichterstatter vom Alt-Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Luzius Wildhaber erhalten, wie Kathpress schreibt. Das Urteil beruhe nicht auf einer "sinnvollen Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen", sagte Wildhaber. "Es ist nicht so, dass eine Tat jedes Mal absolut verboten ist, wenn Blut fliesst. Sonst wären ärztliche Kontrollen, Impfungen, Bluttests, relativ schwierig." Wie in anderen Fällen müssten Richter bei der Beschneidung verschiedene Interessen "vernünftig" abwägen. Dies sei im Gesamten in Köln nicht geschehen.
Religionsfreiheit nur zweitrangiges Menschenrecht?
Für UN-Sonderberichterstatter Bielefeldt verdeutliche der Fall das aktuell grösste Problem in der Debatte um die Religionsfreiheit als Menschenrecht. Es gebe dabei eine Tendenz, Religionsfreiheit zugunsten anderer Menschenrechte zu marginalisieren. "Das könnte dazu führen, dass die Religionsfreiheit immer mehr als das 'andere' Menschenrecht gilt, das bestimmten menschenrechtlichen Anliegen, die vielen heute wichtiger sind, sozusagen im Weg steht", warnte Bielefeldt. So habe er Sichtweisen zurückgewiesen, wonach "die Religionsfreiheit im Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen und den Schutz von Kinderrechten nur im Weg steht, also das andere, scheinbar weniger liberale, weniger menschenrechtliche Menschenrecht ist."
Rechtslage für Urologen
Laut der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) habe dieses rechtskräftige Urteil des Landgerichts Köln die Rechtslage in keiner Weise abschliessend geklärt. Eine letztgültige Rechtssicherheit könne nur ein höchstrichterliches Urteil oder der Gesetzgeber herbeiführen. Die DGU könne ihren Mitgliedern derzeit keine Garantie geben, dass rituelle Beschneidungen strafrechtlich unproblematisch seien. Bis zur weiteren Klärung der Rechtslage könnten Urologen nur jene Beschneidungen rechtssicher durchführen, für die eine medizinische Indikation vorliege.