Am 27. September 1943 starben in der damaligen zentralen Hinrichtungsstätte „Roter Ochse“ in Halle/Saale 14 Menschen durch das Fallbeil, erinnerte Gerhard Peters, Pastor der Adventgemeinde Halle der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. „Der jüngste von ihnen war der 18-jährige Reform-Adventist Günter Pietz.“ Es sei bemerkenswert, dass 69 Jahre nach seinem Tod als Kriegsdienstverweigerer beide Zweige der Adventisten, nämlich die Freikirche und die im Ersten Weltkrieg entstandenen Reform-Adventisten, gemeinsam an dieses Ereignis gedachten. Ein Blumengesteck aus weissen Chrysanthemen mit jeweils einer Schleife für jede der beiden Glaubensgemeinschaften befand sich in der Gedenkstätte „Roter Ochse“ an der Stelle, wo das Fallbeil stand, das Günter Pietz tötete.
Dietmar Eissner von der Adventgemeinde Halle las aus dem Totenbuch der Gedenkstätte die 14 Namen der am 27. September 1943 Hingerichteten vor. Von 1942 bis April 1945 wären an dieser Stelle 549 Gefangene aus 15 Ländern durch Fallbeil oder Erhängen gestorben. Darunter hätten sich mindesten 57 Kriegsdienstverweigerer befunden; die meisten seien Zeugen Jehovas gewesen.
Eissner zitierte aus dem Feldurteil des Reichskriegsgerichts vom 11. September 1943 in der Strafsache gegen den Kanonier Günter Pietz wegen Wehrdienstverweigerung: „Der Angeklagte wird zum Tode, zur Wehrunwürdigkeit und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. ... Er erklärte gegenüber seinem Batterieführer, dass er es seinem Glauben und seinem Gewissen gegenüber nicht verantworten könne, den Fahneneid abzulegen. ... Er ist daher wegen fortgesetzten Verbrechens der Zersetzung der Wehrkraft ... zu bestrafen. ... Mit Rücksicht auf die vom Angeklagten gezeigte Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der er den Wehrdienst ablehnt, ist eine milde Beurteilung ausgeschlossen. Derart hartnäckige Wehrdienstverweigerer sind wegen der ihnen innewohnenden gefährlichen Werbekraft insbesondere geeignet, den Wehrwillen anderer zu zersetzen. Deshalb muss auf die Todesstrafe erkannt werden.“
Die jetzige Generation trage zwar keine Schuld an den Taten ihrer Vorfahren, so Dietmar Eissner, doch sie habe die Verantwortung, an diese Taten zu erinnern, um daraus zu lernen und anders zu handeln. Der Deutsche Bundestag habe erst 2002 die Urteile der Wehrmachtsjustiz gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“ aufgehoben.
Pastor Manfred Peters las aus den beiden Briefen, die Günter Pietz vor seiner Hinrichtung am 15. August und 27. September 1943 an seine Eltern schrieb. In ihnen werde innerer Frieden und Glaubenszuversicht deutlich: „Wegen der Todesstrafe habe und mache ich mir gar keine Gedanken. Denn ich weiss, dass mir Gott beisteht, und so einen Frieden und eine Ruhe im Herzen habe ich nicht gehabt wie in diesen letzten Tagen. ... Weinet nicht über mich, denn ich bin gut aufgehoben. Wenn unser Heiland einmal kommt, um sein Volk zu erlösen, dann werden wir uns freuen. Und mein Wunsch ist es, Euch liebe Eltern, dort zu sehen. Es soll uns nichts scheiden von der Liebe Gottes.“
Es sei besonders wichtig, „unserer Jugend Günter Pietz nahe zu bringen“, betonte Ines Müller (Naumburg/Saale), Jugendleiterin der Deutschen Union der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung bei der Gedenkveranstaltung in Halle. Günter wäre schon als 12-Jähriger in der Schule wegen seiner Begeisterung für die Bibel und die Reformation Martin Luthers aufgefallen, sodass er den Spitznamen „kleiner Prophet“ erhalten habe. Bereits im Alter von 15 Jahren sei er von der Gestapo verhört und gefoltert worden, weil er sich geweigert habe, am Samstag, dem biblischen Ruhetag (Sabbat), in einer Fabrik zu arbeiten. Ein Jahr später sei er aus demselben Grund für zehn Wochen in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht worden. „Nach seiner Entlassung war er so abgemagert und am Ende seiner körperlichen Kräfte, dass seine Mutter ihn nicht auf Anhieb erkannte.“
Ines Müller zeigte sich davon überzeugt, dass es für Günter nur einen einzigen grossen Plan für sein Leben gegeben habe: „Gott treu zu sein – um jeden Preis.“ Ihm sei bewusst gewesen, dass er sich vor Gott nicht mit der politischen Lage entschuldigen konnte. Gottes Wort gelte immer und überall. „Günter Pietz hat nicht mit 18 Jahren sein Leben verloren, sondern sich ganz in die Hände Gottes begeben, der das ewige Leben schenken kann.“ So sei er auch heute noch ein Vorbild, nicht nur für Jugendliche.
Günter Pietz wurde am 4. Juli 1925 in Chorzow, Kreis Königshütte, geboren. Am 16. April 1943 erfolgte seine Einberufung zur Wehrmacht nach Oppeln. Am 30. April 1943 verweigerte Pietz aus religiösen Gründen den Wehrdienst. Der Vater wurde einbestellt, um den Sohn umzustimmen. Im Todesurteil ist festgehalten: „Der Vater hiess jedoch die Einstellung des Sohnes gut und bemerkte, dass dies eine Glaubensangelegenheit sei und er seinen Sohn vollkommen verstehen könne.“ Daraufhin erfolgte die offizielle Festnahme von Günter Piez, der damals 17 Jahre alt war. Das Urteil des 1. Senats des Reichskriegsgerichts (RKG) vom 6. August 1943 lautete: Todesstrafe wegen Wehrdienstverweigerung. Der Präsident des RKG, Admiral Max Bastian, bestätigte am 8. September das Urteil und ordnete die Vollstreckung an, die am 27. September 1943 gegen 17 Uhr in Halle durch Enthauptung erfolgte.