Auf Kritik der evangelikalen Bewegung stösst laut Online-Dienst der Zeitschrift „Adventisten heute“ die am 19. Juni in Berlin veröffentlichte Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Familie. Sie trägt den Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“. Den Verfassern zufolge bestehe Familie nicht mehr nur aus Vater, Mutter und Kindern. Vielmehr heisst es: „Wo Menschen auf Dauer und im Zusammenhang der Generationen Verantwortung füreinander übernehmen, sollten sie Unterstützung in Kirche, Gesellschaft und Staat erfahren.“ Familie seien neben „Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern“ auch „die sogenannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung“.
Keine „evangelische Orientierung“
Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz und Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Dr. Michael Diener (Kassel), kritisierte in einer Stellungnahme, dass der Orientierungshilfe die „biblische Fundamentierung“ fehle. Deshalb werde sie dem Anspruch nicht gerecht, „evangelische Orientierung“ zu bieten. Vielmehr werde eine „Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen“ deutlich. Das EKD-Papier enthalte eine auffällige Abwertung sogenannter „bürgerlicher Ehe- und Familienverständnisse“ und eine Absage an jedes „normative Verständnis der Ehe als göttliche Stiftung“ oder „natürliche Schöpfungsordnung“. Ehe habe danach keinen Leitbildcharakter mehr. Der Erklärung zufolge seien alle anderen ebenfalls „verbindlich, verantwortlich und verlässlich“ geführten Partnerschaften in gleicher Weise anzuerkennen und – wo gewünscht – auch zu segnen. Diener: „Offensichtlich soll jeder Schein einer Diskriminierung der vielfältigen familiären Lebensformen vermieden werden.“ Dabei folge der Rat der EKD der Argumentationslinie des Bundesverfassungsgerichts, „ohne kritisch zu hinterfragen, ob es hier wirklich um ‚Gleiches‘ geht, welches dann auch gleich behandelt werden soll“.
„Gravierende Mängel“ bei biblisch-theologischer Argumentation
Nach Ansicht Dieners weise die Orientierungshilfe im Blick auf die biblisch-theologischen Grundlagen „gravierende Mängel“ auf „trotz der vollmundigen Behauptung, dass hier eine normative Orientierung am Evangelium geleistet werde“. So würde aus der schöpfungsgemässen Polarität von Mann und Frau die allgemeine „Angewiesenheit auf ein Gegenüber“. Biblische Stellen, die ohne Textbeleg von „zärtlichen Beziehungen zwischen Männern“ sprächen, dienten „zur Relativierung der biblischen Aussagen über praktizierte Homosexualität als Sünde“. Der Präses frage: „Wieviel hermeneutischer und theologischer Einseitigkeit bedarf es eigentlich, um wegzudeuten, dass in der gesamten biblischen Überlieferung die Polarität der Beziehung von Mann und Frau als schöpfungsgemäss und konstitutiv betrachtet wird?“
Der ökumenische Flurschaden ist „noch grösser geworden“
Nach seinen Worten werde die von der Orientierungshilfe angestrebte Verständigung auf diese Weise kaum gelingen. Man müsse ernsthaft fragen, ob die EKD „mit dieser durchgehend spürbaren Abwertung der Ehe“ in den derzeitigen gesellschaftlichen Diskussionen politisch verantwortlich handele. Diener: „Im ökumenischen Kontext ist der schon beträchtliche Schaden noch grösser geworden.“ Für viele evangelische Christen würden damit die Zweifel und die Kritik am Kurs der EKD noch stärker werden.
Traditionelle Begriffe von Ehe und Familie „weggeschoben“
Obwohl das Ziel des Textes sein sollte „eine evangelische Verständigung über Ehe, Familie und Partnerschaft anzuregen“ würden sogenannte traditionelle Begriffe von Ehe und Familie weggeschoben, kritisierte auch der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb (Stuttgart). So gelte in der Orientierungshilfe der EKD die Ehe nicht mehr als „Stiftung Gottes“. Das Bibelwort „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ werde aus dem Sinnzusammenhang der Erschaffung von Mann und Frau heraus gerissen. Jetzt solle es gleichermassen auf alle Arten von Partnerschaft zwischen Menschen angewendet werden. Das Primat der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen bleibe auf der Strecke. Wenn Menschen das für ihre Situation wünschten, sollte die Kirche immer segnen; so solle zum Beispiel auch das Scheitern einer Ehe in den „kirchlichen Segen“ eingeschlossen werden. Zudem werde die Herausforderung des Mutterseins mit den besonderen Gaben und Aufgaben nicht annähernd ausreichend gewürdigt.
Bekennende Gemeinschaften: EKD-Papier bibel- und bekenntniswidrig
Scharfe Kritik an der Orientierungshilfe übte auch die Konferenz Bekennender Gemeinschaften innerhalb der evangelischen Kirchen. Das Papier markiere „einen Bruch mit eindeutigen Bibel- und Bekenntnisaussagen“ und stelle sich zu ihnen in Widerspruch. „Der Geist des Bundesverfassungsgerichts, der Geist der unbeschränkten Gleichheit (Genderismus) hatte Vorrang vor dem Geist der Treue zu den Grundlagen der Kirche und des evangelischen Glaubens“, erklärte der Vorsitzende des theologisch konservativen Zusammenschlusses, Pastor Ulrich Rüss (Hamburg). Bei der Bezugnahme auf biblische Texte würden sie „hermeneutisch antibiblisch uminterpretiert“. Für die Ökumene bedeute „diese unevangelische, schrift- und bekenntniswidrige Orientierungshilfe einen ernstzunehmenden Rückschlag“. Die Konferenz Bekennender Gemeinschaft rufe Christen dazu auf, „weiter unbeirrt am biblischen Bild von Ehe und Familie festzuhalten“.
Die Ehe als „Krönung der Schöpfertätigkeit Gottes“
Auch der Vorsitzende der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, Pastor Johannes Naether (Hannover), vertrete die Auffassung, dass die Ehe von Gott gestiftet und von Jesus Christus bestätigt worden sei. Sie sollte als lebenslange Verbindung der liebenden Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau monogam und heterosexuell sein. „Als Krönung seiner Schöpfertätigkeit schuf Gott den Menschen als Mann und Frau nach seinem eigenen Bild.“ Er habe die Ehe als Bund einer körperlichen, emotionalen und geistlichen Vereinigung zweier Geschlechter, in der Heiligen Schrift „ein Fleisch“ genannt, gestiftet. Die harmonische Vereinigung von Mann und Frau in der Ehe stelle einen Mikrokosmos der sozialen Einheit dar, der immer als Herzstück einer stabilen Gesellschaft gegolten habe. „Darüber hinaus verstand der Schöpfer die Sexualität in der Ehe nicht nur als Zeichen der Einheit, sondern auch als Mittel zur Vermehrung der menschlichen Familie.“ Einem Mann und einer Frau, deren Liebe sie einander in enger körperlicher Verbindung erkennen lasse, werde ein Kind anvertraut. Ihr Kind sei die Verkörperung ihres Einsseins. Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten stehe zum biblischen Eheverständnis und vertrete die Ansicht, dass eine Lockerung dieses hohen Anspruchs eine Herabsetzung des göttlichen Ideals bedeuten würde. In diesem Sinne hätte sich schon 1996 der Verwaltungsausschuss der adventistischen Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) geäussert.