Am 21. Januar 2014 hat in Brüssel in Räumen des Europäischen Parlaments eine Konferenz der sogenannten „European Sunday Alliance“ (Europäische Sonntagsallianz) stattgefunden, mit der ein europaweiter Schutz des Sonntags als wöchentlicher Feiertag propagiert werden sollte.
Worum handelt es sich bei dieser Initiative? Die Regelungen zum Schutz von religiösen Ruhetagen sind in Europa sehr unterschiedlich ausgestaltet. In Deutschland und Österreich gibt es seit vielen Jahren Gesetze, die ein Arbeiten am Sonntag sowie ein Öffnen von Geschäften an diesem Tag nur eingeschränkt zulassen. In anderen europäischen Ländern geht es diesbezüglich viel liberaler zu; selbst in katholisch geprägten Ländern wie Italien und Spanien, wo beispielsweise ein Einkaufen an Sonntagen kein Problem ist. Dieses ist der „European Sunday Alliance“, die besonders von den grossen Kirchen und den ihnen nahestehenden Verbänden, aber teilweise auch von Gewerkschaften unterstützt wird, ein Dorn im Auge. Schon seit Jahren versucht sie, bislang ohne grossen Erfolg, über eine Reform der europäischen Arbeitszeitrichtlinien einen europaweiten, gesetzlichen Sonntagsschutz zu etablieren.
Bis 1996 hatte eine EU-Richtlinie gegolten, in der eine wöchentliche Arbeitsruhe vorgesehen war, die prinzipiell den Sonntag umfassen sollte. Diese Regelung ist jedoch vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg am 12.11.1996 (C-84/94) aufgehoben worden, weil nicht bewiesen sei, dass eine Arbeitsruhe am Sonntag aus gesundheitlichen Gründen höher zu bewerten sei als eine Arbeitsruhe an irgendeinem anderen Wochentag. Gegen diese säkulare Sichtweise des Gerichtshofs wenden sich die Bemühungen der „European Sunday Alliance“. Im Vorfeld der Europawahl versucht sie, Einfluss auf Europaparlamentarier zu gewinnen und sie zur Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung zu veranlassen, wonach sie sich im Falle ihrer Wahl für einen stärkeren Sonntagsschutz in Europa einsetzen werden.
Was ist aus Sicht der Religionsfreiheit von diesen Bestrebungen zu halten? Zunächst ist festzuhalten, dass die Konferenz vom 21.01.2014 zwar von Europaparlamentariern, die der „European Sunday Alliance“ nahestehen, veranstaltet wurde. Es handelte sich jedoch nicht um eine offizielle Veranstaltung des Europaparlaments oder gar um den Bestandteil eines Gesetzgebungsverfahrens, sondern um ein reines Lobbyereignis. Inhaltlich gesehen, ist den Zielen der „European Sunday Alliance“ insoweit beizupflichten, als ein Arbeiten ohne einen freien Tag pro Woche sicher auf Dauer schädlich für Gesundheit und Familienleben der Betroffenen sein wird und auch ein für die Gesellschaft wichtiges soziales Engagement nur schwer entstehen kann, wenn hierfür kein zeitlicher Raum zur Verfügung steht.
Problematisch ist jedoch die Forderung der „European Sunday Alliance“, dass der wöchentlich zur Verfügung stehende Ruhetag ein gemeinsamer sein soll, nämlich der Sonntag. Diese Vorstellung geht von einem in der europäischen Gesellschaft in Wahrheit nicht vorhandenen Konsens hinsichtlich des Wochentages aus und lässt völlig ausser Acht, dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen gibt, die aus religiösen Gründen nicht den Sonntag, sondern einen anderen Tag als Ruhetag beachten. Zu erwähnen sind hier neben den Muslimen, die den Freitag als hervorgehobenen Tag haben, die Juden und die Mitglieder protestantischer Freikirchen, wie der Siebenten-Tags-Adventisten oder Siebenten-Tags-Baptisten, die den Samstag als Ruhetag achten und sich häufig im Arbeitsleben grossen Schwierigkeiten ausgesetzt sehen, wenn sie ihrer Überzeugung gemäss an ihrem Feiertag nicht arbeiten möchten.
Ein genereller Schutz des Sonntags würde ihre Position zusätzlich erschweren, weil sie weniger Möglichkeit hätten, mit ihrer Arbeitszeit auszuweichen. Hier wäre es bei einer Reform der europäischen Arbeitszeitrichtlinien angebracht, in Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Deklarationen den Schutz von Minderheiten zu berücksichtigen und bei der Garantie der wöchentlichen Arbeitsunterbrechung eine Wahlmöglichkeit des Ruhetages vorzusehen.
Darum muss die Forderung lauten: Ein klares Ja zu einer garantierten wöchentlichen Arbeitsunterbrechung von mindestens 24 Stunden, allerdings unter Berücksichtigung der jeweiligen religiösen Belange der Betroffenen. Ein klares Nein zu der von der European Sunday Alliance geforderten Bevorzugung des Sonntags, wodurch die Situation von Minderheiten zusätzlich erschwert würde.
* Der Jurist Dr. Harald Mueller leitet das Institut für Religionsfreiheit an der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg.