14 adventistische Soldaten legten im November 1917 währen des Ersten Weltkriegs um 16 Uhr an einem Freitag ihre Arbeitsgeräte zur Seite, um sich auf den Sabbat, den biblischen Ruhetag, vorzubereiten. Doch ihre Unteroffiziere standen schon bewaffnet mit Knüppeln, Pistolen und Stiefeln bereit. Die Soldaten wurden brutal zusammengeschlagen. Danach warf man die britischen Rekruten in kleine Gefängniszellen und fesselte sie mit viel zu engen Handschellen auf dem Rücken. Den Leidensweg dieser adventistischen Kriegsdienstverweigerer schilderte Viktor Hulbert, Abteilungsleiter für Kommunikation und Medien der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Grossbritannien, in einem Artikel in der nordamerikanischen Zeitschrift „Adventist Review“.
Bei den 14 jungen Männern handelte es sich um Theologiestudenten des adventistischen „Stanborough Missionary College“ in London, die zum Kriegsdienst einberufen worden waren. Sie kamen der Einberufung nach, weigerten sich jedoch, eine Waffe in die Hand zu nehmen und an ihrem Ruhetag, dem Sabbat, der nach der Bibel von Freitagabend bis Samstagabend gefeiert wird und mit dem Sonnenuntergang beginnt sowie endet, Dienst zu tun. Deshalb wurden sie eingesperrt und geschlagen. Sie litten Hunger und mussten Toiletten mit der blossen Hand reinigen. Sie wurden gefoltert, indem man sie mit Ketten an das grosse Rad einer Kanone fesselte und stundenlang der Sonne aussetzte. „Kreuzigung“ wurde diese gefürchtete Foltermethode genannt. Nach dem Krieg hätten sie selbst mit ihren engsten Familienangehörigen nicht über ihre Erlebnisse sprechen können, so Hulbert. Erst allmählich wären Einzelheiten ans Licht gekommen.
Deutsche Adventisten handelten anders
Als der Erste Weltkrieg Ende Juli 1914 ausbrach, befand sich Ludwig Richard Conradi, damals ein deutschstämmiger amerikanischer Staatsbürger und Präsident der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa, zu einer Konferenz der britischen Adventisten in London. Conradi hätte die Versammlung wegen des Kriegsbeginns vorzeitig verlassen müssen und sei nach Hamburg zurückgekehrt, wo sich der damalige Verwaltungssitz der europäischen Adventisten befand. Der Kirchenleiter habe in Deutschland die Auffassung vertreten, dass in einem Krieg das Vaterland in Gefahr wäre, sodass auch Adventisten selbst am Sabbat Waffendienst leisten sollten. Diese Einstellung habe unter den dortigen Mitgliedern der Freikirche zu grossen Spannungen geführt, so Hulbert.
Die britische Freikirchenleitung hätte dagegen eine andere Haltung vertreten. Sie orientierte sich an dem Nichtkämpfer-Standpunkt der Adventisten im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Das sei nicht leicht gewesen, betonte Victor Hulbert. Die britischen Adventisten wären meist als Spinner und aus den USA exportierte Proletarier verachtet worden. Als die britische Regierung immer mehr Soldaten benötigte, wurde die Wehrpflicht eingeführt, sodass zwischen 1916 und 1918 etwa 130 junge Männer von den rund 3.000 Adventisten in Grossbritannien einberufen wurden.
Kraft durch das Johannesevangelium
Unter den ersten Einberufenen seien 14 Studenten vom Stanborough College gewesen. Sie kamen am 23. Mai 1916 zum 3. Nichtkämpferkorps in die Bedford Kaserne und bald danach mit dem Schiff nach Frankreich. Bereits auf dem Schiff habe man ihnen ungeachtet ihres Nichtkämpferstatus Gewehre ausgehändigt, deren Annahme sie verweigerten. Daraufhin seien sie bei der Ankunft im französischen Hafen Le Havre von den anderen Soldaten abgesondert worden und hätten auf dem Kai antreten müssen. Der Feldwebel habe einen Adventisten herausgesucht, den er für den Anführer der Gruppe hielt, und ihm befohlen, schwere Steine von einer Seite des Kais auf die andere Seite zu bringen und danach alle Steine wieder zurückzutragen. Das habe der kommandierende Offizier, ein Oberst, beobachtet. Nachdem er erfuhr, dass es sich um Adventisten handele, hätte er befohlen, dass die jungen Soldaten keine Waffen tragen müssten und vom Dienst am Sabbat zu befreien seien. Die nächsten 18 Monate wären daher problemlos gewesen. Die 14 Adventisten hätten hauptsächlich als Hafenarbeiter Schiffe be- und entladen.
Im November 1917 übernahm ein anderer Offizier das Kommando, der das Arbeiten am Sabbat als zwingend notwendig erklärte. Als die Adventisten die Arbeit an ihrem Ruhetag verweigerten, wurden sie vor ein Kriegsgericht gestellt und zu sechs Monaten Zwangsarbeit im Militärgefängnis Nummer 3 in Le Havre verurteilt. Den Gefangenen seien ihre Bibeln abgenommen worden. Doch ein Adventist habe das Johannesevangelium verstecken können. Die einzelnen Seiten hätten die 14 Inhaftierten unter sich aufgeteilt, in ihren Mützen verborgen und beim Lesen aus dem Evangelium Kraft geschöpft. Trotz aller Misshandlungen sei keiner bereit gewesen, am Sabbat zu arbeiten.
Laut Viktor Hulbert scheint ein anglikanischer Militärgeistlicher durch die Schmerzensschreie auf die Gefangenen aufmerksam geworden zu sein. Als ihm der Zutritt zu ihnen untersagt wurde, habe er die adventistische Kirchenleitung informiert. Diese wandte sich im Januar 1918 an das Kriegsministerium. Nach einer Untersuchung wurden die 14 Soldaten etwa drei Monate nach ihrer Inhaftierung aus dem Gefängnis entlassen. Sie marschierten „ungeschlagen und ungebrochen, obwohl sie sich kaum wiedererkannten“, aus ihren Zellen. Die verantwortlichen Offiziere und Unteroffiziere wären bestraft worden. Im Juli 1918, vier Monate vor Kriegsende, konnten die Misshandelten die Armee verlassen. Einige von ihnen seien an den Folgen der in der Haft erlittenen Gesundheitsschäden gestorben. Andere wären später als Pastoren, Missionare und Kirchenleiter tätig gewesen. Sie hätten im Zweiten Weltkrieg mahnend ihre Stimme erhoben, damit derartiges nicht erneut geschehe.