In diesem Jahr erinnern sich die Siebenten-Tags-Adventisten an den Tod ihrer Mitbegründerin Ellen G. White vor einhundert Jahren. Sie starb am 16. Juli 1915 im Alter von 87 Jahren. Etwa ein halbes Jahr zuvor war sie in ihrer Wohnung gestürzt und hatte sich von dem Unfall nicht mehr erholt. Am 24. Juli 1915 wurde sie in Battle Creek, Michigan/USA, an der Seite ihres bereits 1881 verstorbenen Mannes James White zur letzten Ruhe gelegt.
Über sieben Jahrzehnte Einsatz für die adventistische Kirche
Ellen Gould Harmon wurde am 26. November 1827 in einem Farmhaus bei der Ortschaft Gorham, westlich der Stadt Portland im US-Bundesstaat Maine geboren. 1845 begegnete sie erstmals James White, damals 23 Jahre alt. Am 30. August 1846 heirateten sie. Angeregt durch eine Broschüre von Joseph Bates über den biblischen Ruhetag, begann das junge Ehepaar im Herbst 1846 den Sabbat (Samstag) als siebenten Tag der Woche, zu beachten. Gemeinsam mit ihrem Ehemann setzte sie sich in den ersten Jahren ihrer Ehe oft unter grossen Entbehrungen und persönlichen Opfern für die anfangs kleine Gruppe der Adventisten ein, um sie zu ermutigen.
Obwohl sie nie eine offizielle Position in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten innehatte, wirkte sie über sieben Jahrzehnte für die Glaubensgemeinschaft. „Durch ihren Einfluss und ihre Visionen trug sie entscheidend zum Entstehen von Verlagen, Schulen und medizinischen Einrichtungen bei“, so Dr. Manfred Böttcher, von 1969 bis 1982 Präsident der Freikirche in der damaligen DDR und von 1982 bis 1991 Rektor des Theologischen Seminars Friedensau bei Magdeburg. Ellen White habe sich unter den Adventisten auch für die Beachtung der Grundsätze einer gesunden Lebensweise eingesetzt. Als sie 1915 starb war aus wenigen Dutzend Gläubigen eine weltweite Glaubensgemeinschaft mit über 130.000 Mitgliedern entstanden. In dieser Zeit schrieb sie etwa 2.000 Artikel für die adventistische Gemeindezeitschrift „Review & Herald“ und 26 Bücher.
Die Bibel der einzige Massstab
„In der Bibel sah Ellen White – und das hat sie vielfach bis an das Ende ihres Lebens bezeugt – den einzigen Massstab, an dem alle Weissagungen (prophetische Gabe) beurteilt werden müssen“, betonte Böttcher. „Ihre Schriften hat sie selber niemals als Ergänzung, Erweiterung oder Ersatz der Bibel gesehen.“ Bedauerlicherweise habe sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter Adventisten „ein unheilvoller Trend“, nämlich des unkritischen Umgangs mit dem Schrifttum von Ellen White entwickelt, bemängelte Böttcher. Dieser Trend habe sich nach ihrem Tod im Jahr 1915 noch verstärkt. Durch die Glorifizierung ihres Lebens und Dienstes sei die Meinung vertreten worden, alle ihre Gedanken und Ratschläge seien ihr durch direkte himmlische Offenbarung zuteilgeworden, sodass sie unfehlbar und wörtlich inspiriert wären.
In der Mitte des Weges bleiben
Andererseits stehe laut Manfred Böttcher fest, dass Ellen White durch ihr Schrifttum und ihren Rat entscheidend zum Wachstum der damaligen Adventisten beigetragen habe. „In Krisen, von denen die junge Kirche nicht verschont blieb, hat Ellen White gerade durch ihre Wegweisung geholfen, dass die Glaubensgemeinschaft nicht Opfer extremer Anschauung wurde, sondern Christus ihre ‚Mitte‘ blieb. Wenn es notwendig war, ermahnte sie selbst die für die Kirche Verantwortlichen, in der ‚Mitte des Weges‘ zu bleiben.“ Ein Rat, der auch heute nach über einhundert Jahren unter den veränderten äusseren Gegebenheiten in der Welt bleibende Gültigkeit habe, so Böttcher.
Ellen G. White zähle heute zu den meist gelesenen Autorinnen der Welt. Sie gehöre auch zu den am meisten übersetzten Schriftstellern, informierte Dr. Daniel Heinz, Leiter des Historischen Archivs der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa mit Sitz in Friedensau bei Magdeburg. Ihr Buch „Der Weg zu Christus“ („Steps to Christ“), bei dem es um die Nachfolge Jesu geht, gibt es in über 160 Sprachen.
Deutschlands Adventisten haben Ellen White viel zu verdanken
Auch die Adventisten in Deutschland hätten Ellen White viel zu verdanken, so Heinz. Im Mai 1887 besuchte sie anlässlich ihres zweijährigen Europaaufenthalts (1885-1887) die erste und damals neben Solingen einzige adventistische Gemeinde Deutschlands in Vohwinkel bei Wuppertal. Dort habe sie erstmals die Bedeutung von Kleingruppen für die europäische Mission in Europa betont. Die Gemeinden müssten eine geistliche als auch soziale Heimat bieten, in der die Mitglieder liebevoll und versöhnlich miteinander verbunden seien.
Als die 1899 gegründete adventistische Missionsschule in Friedensau ausgebaut werden sollte, hätten die Baukosten der „Alten Schule“ (1904) und des Altersheims in Friedensau (1907) teilweise durch den Verkauf der beiden Bücher von Ellen White „Christi Gleichnisse“ und „In den Fussspuren des grossen Arztes“ gedeckt werden können. Die Autorin habe dabei auf ihr Honorar verzichtet. Dass sie sich gerade für diese Schule einsetzte, habe einen besonderen Grund, vermutet Daniel Heinz: „Friedensau entwickelte sich als ‚Missions- und Industrieschule‘ ganz nach dem Vorbilde des ‚Avondale College‘ in Australien (1897), das White mit begründet hat und daher ihren ganzheitlichen pädagogischen Vorstellungen entsprach.“