Die Adventistische Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA Schweiz hat am 21. September in Bern mit über 100 Spendern und Spenderinnen sowie Gästen des Hilfswerks das 30-jährige Bestehen gefeiert. Toni Burgener, Chef der Glückskette, Cécile Terraz, Logistikverantwortliche bei Medair, Igor Mitrovic, Geschäftsleiter ADRA Serbien sowie Mike Perekrestenko, Geschäftsleiter ADRA Schweiz, diskutierten in einem Podiumsgespräch über Innovationen in den Bereichen Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Um Innovationen erfolgreich implementieren zu können, brauche es Kreativität, Risikobereitschaft und Sensibilität für kulturelle Gegebenheiten sowie die Bereitschaft, die Begünstigten in den Entwicklungs- und Umsetzungsprozess einzubeziehen.
Der Festakt, der in der Musikschule des Konservatoriums Bern stattfand und laut Christiane Theiss, Moderatorin, als eine Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft konzipiert sei, wurde durch ein Klavierkonzert von Richard Kogima in Form einer musikalischen Weltreise, mit Musikstücken aus der ganzen Welt, eingeleitet.
Podiumsdiskussion zu Innovation in der Arbeit der Hilfswerke
Toni Burgener, Chef der Glückskette, zeigte sich in der Podiumsdiskussion beeindruckt, wie schnell ADRA nach Katastrophen vor Ort sei und effizient Hilfe leiste. Aus der Sicht der Glückskette, als Spenden sammelnde Organisation, sei es wichtig, dass die Schweizer Hilfswerke zusammenarbeiten und voneinander lernen würden, damit effizient Hilfe geleistet werde, so Burgener.
Bessere Logistik durch Vorbereitung und Zusammenarbeit
Um in Katastrophengebieten innert 24 bis 48 Stunden Hilfe bringen zu können, sei es wichtig, sich auf Katastrophen vorzubereiten, sagte Cécile Terraz, Verantwortliche für Logistik bei Medair. Man müsse Lagerhäuser mit Nothilfegütern unterhalten, Kontakte zu lokalen Hilfswerken pflegen und mit grossen Transportfirmen zusammenarbeiten. Sie führte das Beispiel eines Hilfswerks an, das Kontakte mit Airbus pflege. Dies sei für die Logistik im Katastrophenfall von unschätzbarem Vorteil, um schnelle Hilfe vor Ort leisten zu können.
Krisen fordern Innovationen heraus
ADRA Serbien habe auf der Balkanroute auf die Bedürfnisse der Geflüchteten im 2015 sehr anpassungsfähig reagieren müssen, sagte Igor Mitrovic, Geschäftsleiter ADRA Serbien. Unbekannte Krisen forderten Innovationen geradezu heraus. Sein Hilfswerk lehre die Kinder in Sprachschulen Serbisch, damit sie dem Unterricht an den öffentlichen Schulen besser folgen könnten. ADRA Serbien hole die Kinder in den Camps ab, um sie in Bussen zu den öffentlichen Schulen zu fahren. Vor allem Kinder aus Afghanistan seien sehr wissbegierig. Sie warteten teil eine Stunde vor Abfahrt der Busse bereits am Lagerzaun. Junge Männer würden in Berufe und andere Tätigkeiten durch Praktika eingeführt. Was die Kinder und Jugendlichen an Wissen in den Köpfen hätten und gegebenenfalls auch an Fertigkeiten in den Händen, könnten sie überall auf der Welt nutzen, so der Geschäftsleiter von ADRA Serbien.
Neue technische Möglichkeiten für Innovationen nutzen
Bei Innovationen gehe es auch darum, neue technische Möglichkeiten zu nutzen. Drohnen seien in Nepal nach Erdrutschen benutzt worden, um Karten der Landschaft herzustellen und sichere Bauplätze zu finden, führte Cécile Terraz, Medair, aus.
Glückskette mit Risikofonds für Innovationen
Bei Innovationen müsse immer die Bevölkerung vor Ort miteinbezogen werden. Es gebe in Afrika eine grosse Anzahl lokaler Start-ups, die Hilfswerke in die Problemlösung einbeziehen könnten, so Toni Burgener. Der Glückskette sei klar, dass sie manchmal auch eine Art von Risikokapital zur Verfügung stellen müsse. Sie habe deshalb einen Risikofonds geschaffen.
Finanzielle Unterstützung von Hilfsempfängern
Neu sei die direkte finanzielle Unterstützung von Hilfsempfängern, erläuterte der Chef der Glückskette. So könnten im Norden von Somalia die Empfänger selbst entscheiden, was sie benötigten und würden damit auch einen Teil ihrer Würde zurückgewinnen. Geldtransfer werde neuerdings auch über Mobiltelefone getätigt, völlig bargeldlos.
3-D-Technik beim Prothesenbau
Die 3-D-Technik werde beim Gestalten und Anpassen von Prothesen verwendet, sagte Burgener. Dies erlaube es, die Arbeit genauer zu machen, mit weniger Komplikationen und Schmerzen für die Patienten und ermögliche es, das Produkt billiger zu produzieren.
„Wasserkiosk“ von ADRA
In Zusammenarbeit mit Grundfos, grösster Pumpenhersteller der Welt, testet ADRA in drei Ländern sogenannte Wasserkioske, sagte Mike Perekrestenko. Sie bestehen aus einem 20-Fuss Container neben dem aus einem tiefen Bohrloch Wasser heraufgepumpt wird, das für zwei US-Cent pro Liter an die Verbraucher verkauft wird. Diese können am Wasserkiosk an sieben Tagen während 24 Stunden Trinkwasser mit einer „Kreditkarte“ beziehen. Wer kein Geld hat, bekommt die Karte von ADRA kostenlos zur Verfügung gestellt. Betrieben wird der Wasserkiosk durch Dorfbewohner, die damit Einkommen generieren. Der Gewinn wird an ADRA überwiesen, um den Unterhalt zu gewährleisten und um neue Wasserkioske zu bauen.
Kreativität und Innovation
Innovation funktioniere nur, so Mike Perekrestenko, wenn man auf vorhandene Bildung aufbauen könne. Deshalb sei Braindrain, die Abwanderung gut gebildeter Einwohner, ein grosses Problem für die Entwicklung dieser Staaten. Es gäbe oft zu wenig kreative Köpfe in den Hilfswerken und auch ausserhalb, so der Geschäftsleiter von ADRA Schweiz. Hilfswerke sollten auch bereit sein, mit profitorientierten Unternehmen zusammen zu arbeiten. Kreativität und Risikobereitschaft könne zu Innovationen führen.
Rückblick auf 30 Jahre ADRA Schweiz
Spotlichtartig gab die Moderatorin, Christiane Theiss, einen Rückblick auf die Entwicklung des Hilfswerks.
1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, gründete die protestantische Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten das „Schweizerische Adventwohlfahrtswerk“ das vorwiegend in der Schweiz tätig war.
1987 wurde ADRA Schweiz gegründet. Das Hilfswerk führte die begonnene Arbeit weiter und ergänzte sie mit Projekten der Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Ausland.
1993 wurde der erste Freiwilligeneinsatz bei den Überschwemmungen in Brig geleistet. Daraus entwickelte sich die jährlichen Freiwilligenwochen bei benachteiligten Bauernfamilien in der Schweiz.
1994 bezog ADRA Büroräumlichkeiten in Lentigny/FR, wo auch ein grosses Lager zur Verfügung stand.
1999: Eröffnung des ADRA-Zweigbüros in Pyongyang, Nordkorea.
2002: Zertifizierung von ADRA durch die Stiftung ZEWO, für zweckbestimmten und transparenten Umgang mit Spenden.
2002: Start der Weihnachtspaketaktion „Kinder helfen Kindern“.
2003: ADRA Schweiz beendet die Sammlung und den Versand von gebrauchten Kleidern ins Ausland.
2003 besucht Bundesrätin Micheline Calmy-Rey die grosse ADRA-Bäckerei in Pyongyang, Nordkorea.
2005: ADRA Schweiz wird eines der 25 Partnerhilfswerke der Glückskette.
2005: Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen durch die Regierung in Nordkorea zieht sich ADRA Schweiz mit den meisten anderen Hilfswerken aus dem Land zurück.
2009: Umzug des ADRA Büros an den jetzigen Standort: Gubelstrasse 23, 8050 Zürich.
ADRA Schweiz
ADRA Schweiz (www.adra.ch) wurde 1987 als Hilfswerk der protestantischen Freikirche der Siebtenten-Tags-Adventisten in der Schweiz gegründet. Es ist ein im Handelsregister eingetragener Verein, mit Sitz in Zürich. Das Hilfswerk geniesst Steuerfreiheit und wurde 2013 von der schweizerischen Fachstelle für Spenden sammelnde, gemeinnützige Institutionen (ZEWO) für weitere fünf Jahre rezertifiziert. ADRA Schweiz zählt zu den Partner-Hilfswerken der Schweizer Glückskette: www.glueckskette.ch.
Das ADRA Netzwerk besteht aus rund 130 regionalen und nationalen Landesbüros. ADRA gewährt Hilfe unabhängig von Rasse, ethnischer Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.
Der Jahresbericht 2016 von ADRA Schweiz kann im Internet heruntergeladen werden: https://www.adra.ch/fileadmin/content_data/Ueber_ADRA/Jahresbericht/2016/Jahresbericht2016.pdf