Der neue UN-"Bericht über die menschliche Entwicklung 2005" (Human Development Report) zeichnet die bisherige Wegstrecke zur für 2015 geplanten Erreichung "Millenniums-Ziele" in düsteren Farben. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) fordert im Bericht drastische Änderungen bei der Entwicklungshilfe, im Welthandel und in der Sicherheitspolitik. "Die Welt steuert im Bereich der menschlichen Entwicklung auf ein sich deutlich abzeichnendes Desaster zu", heisst es in dem 400 Seiten starken Dokument der Vereinten Nationen, das am 7. September in Wien bei einer Pressekonferenz von Botschafterin Irene Freudenschuss-Reichl vom österreichischen Aussenministerium und Gina Volynsky, Beraterin für Handels- und Wirtschaftsentwicklung beim Regionalzentrum des UN-Entwicklungsprogramms in Bratislava, präsentiert wurde.
Nach einem Bericht der katholischen Nachrichtenagentur "Kathpress" laute die Kernaussage des Berichts: "Sollten sich die gegenwärtigen Trends fortsetzen, werden die 'Millenniums-Ziele' weit verfehlt". Die Regierungen, die bis 2015 unter anderem die Armut und den Hunger auf der Welt halbieren wollten, "stolpern auf ein klar erkennbares und leicht vermeidbares menschliches Entwicklungsdebakel zu". Dieses Debakel werde weit reichende Folgen nicht "nur für die Armen der Welt, sondern auch für den Weltfrieden, die Weltwirtschaft und die globale Sicherheit" haben, heisst es in dem Bericht. Allein die unfaire Handelspraxis hindere Millionen Menschen daran, der extremen Armut zu entrinnen, bestätigt der UN-Bericht, Die grösste Herausforderung für die reichen Industrieländer liegt laut Botschafterin Freudenschuss-Reichl im Umfang und in der Qualität der Entwicklungshilfe, in Handelserleichterungen für die stark benachteiligten Entwicklungsländer sowie in der Konfliktprävention. Gewaltsame und kriegerische Auseinandersetzungen seien überhaupt das grösste Entwicklungshindernis - vor allem im "Sorgenkind" Afrika, wo sich 40 Prozent aller bewaffneten Konflikte abspielen. Und in neun der zehn laut dem "Human Developement Index" am wenigsten entwickelten Staaten habe es seit den neunziger Jahren Krieg gegeben. Der Agrarprotektionismus der reichen Länder, so das UN-Dokument, koste die sich entwickelnden Länder jährlich 72 Milliarden US-Dollar - fast soviel, wie sie insgesamt an Entwicklungshilfe erhalten.
Gina Volynsky illustrierte die Folgen der Säumigkeit der reichen Länder mit dramatischen Zahlen: Wird der bisherige Kurs weitergefahren, werde das Ziel verfehlt, die Kindersterblichkeit zu senken, was einer Zahl von 4,4 Millionen vermeidbaren Todesfällen im Jahr entspreche. Und die Differenz zwischen der angestrebten Halbierung der Armut und den nach jetzigem Stand zu erwartenden Ergebnissen entspreche zusätzlichen 380 Millionen Menschen im "Süden", die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Auch die Bildungsziele werden laut Volynsky klar verfehlt, sofern nicht rasch gegengesteuert wird: Demnach würden weltweit 47 Millionen Kinder im Jahr 2015 immer noch keine Grundschulausbildung bekommen.
"Die Welt hat das Wissen, die Ressourcen und die Technologie, um die extreme Armut zu beenden", sagte UNDP-Administrator Kemal Dervis in New York. Die Zeit, die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) der Vereinten Nationen zu erreichen, werde aber knapp. Kemal Dervis wörtlich: "Wir wissen, dass die Millenniums-Entwicklungsziele erreichbar sind, aber wenn wir mit dem 'business as usual' weitermachen, wird das Versprechen der Millenniums-Erklärung gebrochen. Das würde vor allem für die Armen der Welt eine Tragödie bedeuten, aber auch die reichen Länder wären gegen die Folgen nicht gefeit. In einer interdependeten Welt hängen unser Wohlergehen und unsere kollektive Sicherheit vom Erfolg des Krieges gegen die Armut ab."