Der frühere anglikanische Erzbischof von Canterbury über Gewalt:
"Wir müssen Gewalt, wo immer sie sich zeigt, missbilligen und uns besonders dagegen wenden, wenn sie im Zusammenhang mit Religion auftritt", betonte der frühere anglikanische Erzbischof von Canterbury, Lord George Carey of Clifton, in einer Gastvorlesung am Newbold College der Siebenten-Tags-Adventisten in Bracknell westlich von London. Vor 450 Teilnehmern, unter ihnen auch eine Gruppe Muslime aus London, referierte das ehemalige Oberhaupt von 70 Millionen Anglikanern über das Thema "Der Halbmond und das Kreuz – Der Zusammenprall von Glaubensüberzeugungen im Zeitalter des Säkularismus".
Der Geistliche sprach zunächst über diejenigen, die meinten, dass muslimisch-christliche Beziehungen nur zu Reibungen zwischen den Zivilisationen führten und deshalb ein Dialog zwischen den beiden Religionen nicht möglich sei. Carey plädierte stattdessen für einen "Dialog, der von Kooperation, Toleranz und gegenseitigem Verstehen getragen wird", und ermutigte die Zuhörer, „über eine neue Beziehung zwischen den auf Abraham zurückgehenden Glaubensüberzeugungen nachzudenken“. Es gehe darum herauszufinden, ob es "eine spirituelle Grundlage gibt, die wir miteinander teilen". Er stellte auch die Frage, wie es komme, dass, obwohl der wahre Islam keine gewalttätige Religion sei, er plötzlich mit Gewalt in Verbindung stehe.
"Die Behauptung, dass jemand ein von Gott gesegneter Märtyrer sein soll, der wissentlich unschuldige Menschen tötet, ist für mich nicht nachvollziehbar", sagte Carey. Christliches Märtyrertum sei anders. Im Christentum würden keine Märtyrer geehrt, die Unschuldige töteten. "Sie oder er leidet für Gott und sein Volk, nicht indem beide kämpfen oder töten, sondern indem sie Leid ertragen. " Ein Terrorist könne demnach kein Märtyrer sein, stellte der frühere Erzbischof fest. Es sei für ihn auch befremdend, dass Muslime hierzulande auf ihre Minderheitsrechte pochten, aber die missliche Lage von Christen in islamischen Ländern ignorierten. Muslime könnten im Westen Moscheen und Schulen bauen, Konvertiten gewinnen und für ihren Glauben werben. Leider hätten Christen diese Möglichkeiten in islamischen Ländern so nicht. Dort sei es für einen Muslim außerordentlich schwer, wenn nicht gar gefährlich, sich zu einem anderen Glauben zu bekennen.
Carey ging auch auf die Vorlesung von Papst Benedikt XVI. in Regensburg ein. Er war der Meinung, dass die umstrittene Passage in der Papstrede aus dem Zusammenhang gerissen worden sei. Die Fülle des Informationsangebotes mit dem jeder konfrontiert sei, führe dazu, schnell einige Dinge herauszupicken, anstatt sich gründlich mit einer Sache zu befassen. "Obwohl wir in einer schwierigen Zeit leben, gibt es keinen Grund zur Resignation", schloss der Geistliche. Es liege an jedem von uns, sich respektvoll und tolerant mit den Unterschieden zwischen Christentum und Islam zu befassen, um zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu gelangen und ein neues Zeitalter des Miteinanders zu beginnen.
George Carey war von 1991 bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2002 der 103. Erzbischof von Canterbury und damit Primas der Kirche von England und Oberhaupt der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft. Das Newbold College wurde 1902 von den Siebenten-Tags-Adventisten gegründet und zählt über 300 Studenten aus mehr als 60 Ländern.