Anlässlich einer Tagung der adventistischen "Gemeindeakademie" referierten am 8. März im westfälischen Altena die beiden Vorsitzenden der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, Klaus van Treeck (Hannover) und Günther Machel (Ostfildern bei Stuttgart), über den Zustand, die Entwicklung und Zukunft der Freikirche in Deutschland im 21. Jahrhundert.
"Wer mit wachen Augen die Lage unserer Freikirche in Deutschland beobachtet, erlebt, dass wir mitten in der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen theologischen Strömungen stehen, die rasant auf eine Polarisierung zusteuert", betonte Pastor van Treeck, zweiter Vorsitzender der Freikirche in seiner Situationsanalyse. Dies sei jedoch nicht etwa eine Folge des Zeitgeistes oder ein Phänomen der Säkularisierung. "Bereits die von den Aposteln geführte frühe Kirche war theologischen Spannungen und Polarisierungen ausgesetzt und stand zeitweise kurz vor einer Spaltung in eine juden- und heidenchristliche Kirche."
Im Zeitalter von Globalisierung und Internet sei die theologische Situation der Freikirche in Deutschland eng mit den theologischen Entwicklungen der adventistischen Weltkirche verbunden. Pastor van Treeck nannte dabei wesentliche Unterschiede in der Gottesdienstgestaltung, im Verständnis von Führungsrollen einschliesslich der Ordination von Frauen, unterschiedliche Gewichtung bei der Auslegung biblischer Prophezeiungen, Lebensstilfragen und zweitrangigen theologischen Sachfragen.
Bewahrung der Einheit in Vielfalt
Paradoxerweise bestehe aber eine starke Einigkeit der Gemeinde hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Glaubensüberzeugungen und ihrer Mission. "Bis heute ist es trotz der Vielfalt der Gemeinden gelungen, die Spannung zwischen Glaubensüberzeugungen und Glaubenspraxis auszuhalten", so der Kirchenleiter. Die Suche nach der Wahrheit könne aber auch zu theologischen Polarisierungen in den Gemeinden führen. Die deutsche Freikirchenleitung sei bemüht, durch die Fachkompetenz der gewählten Verantwortungsträger in Theologie, Pädagogik, Musik und Diakonie den Gemeinden auf dem Wege einer respektvollen Diskussionskultur zur Stabilität und Einheit in Vielfalt zu verhelfen. Pastor van Treeck warnte gleichzeitig davor, den innerkirchlichen Konflikt auf dem Rücken der jungen Generation auszutragen. Adventistische Christen seien gehalten, die Würde sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit anderer Menschen innerhalb und ausserhalb der Gemeinden zu achten und eine Identitätsbildung durch schroffe Abgrenzung, Feindbilder sowie Herabwürdigung anderer Christen und Kirchen zu vermeiden.
Demographische und organisatorische Situation
Der erste Vorsitzende der Freikirche, Pastor Günther Machel, ging in seinem Referat auf die Alterstruktur der Glaubensgemeinschaft in Deutschland ein und zeigte die damit zusammenhängenden Probleme auf. Für das Jahr 2035 sehe die demographische Prognose für die Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von 30 Prozent der Altergruppe 65plus vor. Dieser Prozentsatz treffe bereits heute für die Freikirche in Deutschland zu.
Derzeit gebe es in Deutschland 35.902 getaufte erwachsene Kirchenmitglieder, davon 20.558 in Gemeinden des Norddeutschen Verbandes mit Sitz in Hannover und 15.344 im Süddeutschen Verband mit Sitz in Ostfildern bei Stuttgart. Da die Zahl der Kinder und Jugendlichen weiter abnehmen werde, stehe die Freikirche heute zahlreichen drängenden Fragen gegenüber: Werden unsere Gemeinden Orte der Hoffnung sein? Wie viele Gemeinden werden wir in den nächsten Jahren schliessen müssen? Wie werben wir um Jugendliche? Wie viel wollen wir in Kirchenbauten investieren? Brauchen wir Kirchen oder Mehrzweckräume? Welche Reorganisationen sind sinnvoll, um missionarische Strukturen zu gewinnen und auszubauen?
Die Haushaltmittel der Freikirche in Deutschland würden heute nach folgendem Verteilerschlüssel eingesetzt: 44 Prozent für Personalausgaben und Pensionskasse, 41 Prozent projektgebundene Abgaben zur Förderung kircheneigener Einrichtungen, knapp zehn Prozent für die Arbeit der Abteilungen, wie Gemeindeaufbau, Jugend, Familie, Gesundheit, Kommunikation, und fünf Prozent Verwaltungsaufwand. Eine Diskussion über eine Umverteilung der Gelder mit dem Ziel, in Zukunft den Abteilungen, insbesondere für missionarische Projekte, mehr Mittel zukommen zu lassen, sei im Gange. Aber auch die lokalen Gemeinden als Orte der Hoffnung müssten finanziell stärker gefördert werden, um entsprechend handeln zu können.
Durch die beschränkten finanziellen Mittel seien der missionarischen und diakonischen Arbeit in der Freikirche Grenzen gesetzt. So könne in Zukunft nicht mehr jede Gemeinde von einem eigenen Seelsorger betreut werden. Der Trend gehe dahin, Gemeinden bis zu 100 Mitgliedern durch ausgebildete Laienmitglieder zu betreuen. Nur noch Gemeinden über 100 Mitglieder könnten auf einen eigenen Pastor zählen.
Machel ging auch auf den Graben zwischen Gemeindefrömmigkeit und "Theologie der Pastoren" ein, die er als Chance für den theologischen Nachwuchs sieht. Dank guter akademischer Ausbildung an der kircheneigenen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg komme eine neue Pastorengeneration mit Fachkompetenz in die Gemeinden.