„Dass die Juden unser Unheil seien, ist eine alte antisemitische Lüge“, betonte Dietmar Päschel (Dresden), Diplomtheologe und Doktorand der Systematischen Theologie, in seinem Artikel „Judenfeindschaft – Ein Thema für uns heute?“ im Informationsheft der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Berlin, Land Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Und er erklärte: „Als Christ bin ich in gewisser Weise auch Jude.“
Päschel bezog sich dabei auf den Apostel Paulus, für den der neue christliche Glaube ganz auf dem Boden des Judentums gestanden habe, „auch wenn er für alle Völker offen ist“. Paulus habe in Römer Kapitel 11 Juden und Christen mit einem Ölbaum verglichen. „Die Christen sind als Zweige eines wilden Ölbaums in den edlen Ölbaum eingepfropft. Von ihm erhalten sie nun ihren Saft, ihr Leben. Ihm verdanken sie ihre Existenz.“ Wären Christen judenfeindlich, würden sie sich damit von ihrem eigenen Wurzelstock abhacken. Die Christenheit habe diese biblische Überzeugung aber bald vergessen. „Man beschuldigte die Juden, dass sie als ganzes Volk Jesus gekreuzigt hätten.“ Zwar sei Jesus einer Intrige innerhalb des jüdischen Hohen Rates zum Opfer gefallen. Doch es seien nicht Juden gewesen, sondern römische Soldaten, die Jesus gegeisselt, geschlagen und getötet hätten. „Trotzdem galten die Juden als ‚Gottesmörder‘.“
Als die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten im 19. Jahrhundert entstand, sei der Antijudaismus schon 1.700 Jahre im christlichen Denken vorhanden gewesen. Diese Grundhaltung hätte auch für Adventisten Folgen gehabt. „Mit grosser Scham müssen wir eingestehen, dass unsere Freikirche im ‚Dritten Reich‘ keine Gewissensnot angesichts der Judenverfolgung empfand. Selbst dann nicht, als Adventisten jüdischer Herkunft verfolgt wurden. Gemeindeglieder, die nach den Rassegesetzen als ‚jüdisch versippt‘ galten, wurden ausgeschlossen“, stellte Dietmar Päschel fest.
Als Beispiel nannte er Max Munk, einst orthodoxer Jude, dann adventistischer Gemeindeleiter in Minden. „1938 wurde er mitsamt Familie aus seiner Gemeinde ausgeschlossen. Der Zutritt zu den Gemeinderäumen wurde ihnen untersagt. Öffentlich forderte der Mindener Prediger, jeglichen Kontakt zu ihnen abzubrechen. Munk überlebte das KZ Theresienstadt. Nach Kriegsende bat er um Wiederaufnahme in seine Gemeinde, ohne dass es von der Gemeindeleitung ein Schuldeingeständnis gegeben hatte.“ An der Eingangstür der Adventgemeinde Brünn sei im Jahr 1940 das Schild „Juden verboten!“ angebracht worden.
60 Jahre nach Kriegsende, am 8. Mai 2005, habe die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und Österreich erstmals ihre Schuld gegenüber den Juden in der NS-Zeit eingestanden: „Wir bekennen aufrichtig, dass wir gegenüber dem jüdischen Volk … durch unser Versagen schuldig geworden sind.“
Der moderne Antisemitismus sei unauffälliger, so Päschel. Er beginne im Alltag mit grundlosem Argwohn, mit beleidigenden Witzen, durch Ausgrenzung oder durch ein Gerücht, das sich als Gewissheit ausgebe. „Er erfindet sich seine eigenen Beweise und wehrt sich gegen eine sachliche Aufklärung.“ Antisemitismus könne sich als Kritik an Israel tarnen, wenn zum Beispiel von der Politik des Staates Israel allgemein auf „die Juden“ geschlossen werde.
Antisemitisch sei auch die Chasaren-Legende. Sie behaupte, dass die heutigen Juden nicht von den Juden der Antike abstammen würden, sondern Nachfahren eines asiatischen Turkvolkes wären. Laut Dietmar Päschel hat das Bundesverfassungsgericht im Fall eines Rechtsanwalts, der die Chasaren-These vertreten habe, festgestellt, dass man ihn zu Recht als rechtsradikal bezeichnen könne. Das Gericht sah das nicht als Diffamierung der Person oder als unwahre Tatsachenbehauptung an. Sondern es sei sachbezogen und als Meinungsäusserung geschützt. (Beschluss des BVerfG vom 17. September 2012, Az. 1 BvR 2979/10.)
Nicht immer wäre es leicht, Antisemitismus zu erkennen. Päschel unterscheidet in seinem Artikel „offenen“ Antisemitismus, etwa, „Juden haben zu viel Einfluss an der Wall Street“, „verdeckten“ Antisemitismus, wie „die Juden nutzen den Holocaust, um Deutschland zu schröpfen“, und „theologischen Antisemitismus“, beispielsweise „die Judenverfolgungen sind Gottes Strafe dafür, dass die Juden Jesus gekreuzigt haben“.
Antisemitische Aussagen könnten plötzlich bei einer Familienfeier oder sogar bei der Veranstaltung einer christlichen Ortsgemeinde auftreten. Es gelte, darauf sofort zu reagieren. „Antisemitische Aussagen dürfen nicht im Raum stehen bleiben.“ Der Verursacher sollte deutlich, „aber in Ruhe“ direkt angesprochen werden. Die anderen müssten verstehen können, worum es gehe.
Durch Christus sei der ewige Bund Gottes mit dem jüdischen Volk für alle Völker geöffnet worden. So hätten Christen Anteil an diesem bestehenden Bund erlangt. „Er ist die Wurzel, die uns trägt. Wir würden das Evangelium verdunkeln und uns selbst die Grundlage unserer Existenz entziehen, wenn wir Antisemitismus zuliessen“, betonte Päschel.