Am 6. Juni fand im Gemeindezentrum der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Budapest ein Symposium unter dem Motto „Vom ungarischen Holocaust zum Dialog“ („A Magyar Holokauszttól a Párbeszédig“) statt. Der Versammlungsort sei für die Tagung in der adventistischen Kirche gut gewählt worden, so Dr. Daniel Heinz, Leiter des Historischen Archivs der Siebenten-Tags-Adventisten in Europa, das der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg angeschlossen ist. Das Symposium habe auf „historischem Boden“ stattgefunden, denn es sei der Pastor und Leiter der Freikirche in Ungarn, László Michnay, gewesen, der 1944/45 über 50 Juden in dem Tagungshaus versteckte und sie so vor dem sicheren Tod bewahrt habe. Eine Gedenktafel im Foyer des Kirchengebäudes erinnere heute an den mutigen Einsatz dieses aussergewöhnlichen adventistischen Geistlichen.
Das Symposium wurde von verschiedenen Pfingstkirchen und der Theologischen Hochschule der Siebenten-Tags-Adventisten in Pecel bei Budapest in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Kultusministerium, das dafür finanzielle Mittel bereitstellte, und Yad Vashem durchgeführt. Yad Vashem, die zentrale Gedenk- und Forschungsstätte für die Opfer der Shoa in Jerusalem, war durch Dr. Susanna Kokkonen vertreten, welche die Organisation „Christliche Freunde Yad Vashems“ leitet und sich weltweit gegen Antisemitismus und für den christlich-jüdischen Dialog engagiert.
Kokkonen, aus Finnland stammend und selbst aktiv in der Pfingstkirche tätig, sprach in ihrem Eingangsreferat über die christlichen Wurzeln des Antisemitismus mit seinen verheerenden Folgen im Holocaust, der zwischen 1933 bis 1945 zur Ausrottung von sechs Millionen Juden im nationalsozialistischen Machtbereich führte. In Ungarn selbst erreichte die Verfolgung der Juden unter dem faschistischen Regime der „Pfeilkreuzler“ Ende 1944 ihren Höhepunkt. Antisemitistische Äusserungen seien bis heute in Ungarn Teil der tagespolitischen Szenerie. Auch vor diesem aktuellen Hintergrund sei das Symposium in Budapest wichtig gewesen.
Weitere Referate, etwa von Arto Hämäläinen, Illyés Szabolcs, József Szécsi, István Tatai, befassten sich mit vielfältigen theologischen und sozialen Aspekten im Umgang mit Juden, die vom Dialog bis hin zur Missionierung reichten.
Abgerundet wurden die Beiträge von Dr. Daniel Heinz, der über die Haltung der Freikirchen gegenüber den Juden im Dritten Reich referierte. Heinz zeigte auf, dass auch die Freikirchen, vor allem in Deutschland, am Holocaust mitschuldig gewesen seien. Falsch verstandener Gehorsam, irregeleitete nationale Begeisterung, Repressionsfurcht und Resignation hätten die Freikirchen gehindert, sich mit dem rassisch verfolgten Nachbarn, ja sogar mit dem judenchristlichen Bruder in der Kirchengemeinde zu solidarisieren. Wenn sich Widerstand gegen Judenfeindschaft gezeigt habe, sei er meist „von unten“, von einzelnen Christen, die sich allein von ihrer Gewissensüberzeugung leiten liessen, gekommen.
Abschliessend erinnerte Dr. Imre Tokics von der Theologischen Hochschule der Siebenten-Tags-Adventisten in Ungarn an den Judenretter Michnay und lud, seinem moralischen Beispiel folgend, ein, die komplizierte Beziehung zwischen Christen und Juden in der Gegenwart durch Vertrauen, Wertschätzung und Dialog auszubauen und zu vertiefen. Antisemitisches Gedankengut, so Tokics, dürfe weder in Ungarn noch anderswo Anhänger finden. Mit Mahnmalen allein sei es nicht getan. Vorbilder, Friedensstifter und Versöhner wären auch heute gefragt.
Laut Daniel Heinz habe die adventistische Freikirche im Jahr 2005 die „Erklärung der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und Österreich zum 60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945" herausgegeben. Darin heisse es zum Holocaust: „Wir beklagen zutiefst, ... dass sich in manchen unserer oder von uns verbreiteten Veröffentlichungen Aussagen finden, die Adolf Hitler huldigten und der rassistischen Ideologie des Antisemitismus in einer Weise Ausdruck gaben, die aus heutiger Sicht unfassbar ist ... und dass auch viele Siebenten-Tags-Adventisten an der Not und dem Leid ihrer jüdischen Mitbürger keinen Anteil nahmen“, sowie „dass Mitbürger jüdischer Herkunft von uns ausgegrenzt und ausgeschlossen, sich selbst überlassen und so der Gefangenschaft, Vertreibung oder dem Tod ausgeliefert wurden.“ Es folge das Eingeständnis: „Wir bekennen aufrichtig, dass wir gegenüber dem jüdischen Volk ... durch unser Versagen schuldig geworden sind. Dafür bitten wir Gott und die noch lebenden Betroffenen demütig um Vergebung.“ Das Bekenntnis enthalte das Vorhaben: „Wir wollen nachdrücklich dafür eintreten, … dass niemand aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität oder Geschlecht ausgegrenzt und benachteiligt wird“, und „dass die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät, sondern als bleibendes Mahnmal uns auch heute vor Augen steht.“