Martin Luther ist das Schwerpunktthema der Oktober/November/Dezember-Ausgabe der Zeitschrift „Dialog“ der Theologischen Hochschule der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Friedensau bei Magdeburg/Deutschland. Die Bedeutung Luthers geht über die eines Reformators hinaus. Andererseits ist die europäische Reformation vielfältiger als das Wirken von Luther und seinen Mitstreitern.
„Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten fühlt sich der Reformation eng verbunden“, schreibt der Rektor der Theologischen Hochschule Friedensau, Professor Dr. Roland E. Fischer, in seiner Einführung zum Schwerpunktthema. Auch die Hochschule sehe sich dem reformatorischen Erbe in Forschung und Lehre verpflichtet, nicht nur wegen der geografischen Nähe zu den Lutherstätten in Sachsen-Anhalt, sondern vor allem wegen der theologischen Nähe der Lehre der Adventisten zum reformatorischen Gedankengut. Für Adventisten blieben mindestens zwei Ansprüche der Reformation: Die Bibel als alleinige Grundlage für Glauben und Leben und das reformatorische Prinzip „ecclesia semper reformanda“, die Kirche ist immer (weiter) zu reformieren. Laut Fischer gehe die Bedeutung Martin Luthers über die als Reformator hinaus, weil er auch in anderen Bereichen bleibende Spuren hinterlassen habe. Andererseits sei die europäische Reformation breiter und vielfältiger als die Reformation in Deutschland durch Luther und seine Mitstreiter.
Luthers Einfluss auf die deutsche Sprache
Dr. phil. Thomas Domanyi, emeritierter Professor für Ethik und Sozialtheologie in Friedensau, beleuchtet in seinem Artikel das Wirken Luthers als Bibelübersetzer und seinen Einfluss auf die neuhochdeutsche Sprache. Mit Luther habe sich das Neuhochdeutsche als „gemeines Deutsch“ etabliert und die Sprachentwicklung bis heute bestimmt, so Domanyi. Der Reformator sei nicht der Erste gewesen, der die Bibel ins Deutsche übertrug, doch ihm wäre es gelungen, eine für jeden Deutschen verständliche Bibelübersetzung zu schaffen. „Um das zu erreichen, strebte Luther bei der Verdeutschung der Bibel nach natürlicher Einfachheit, wie sie ‚der Mutter im Hause, den Kindern auf den Gassen, dem gemeinen Mann auf dem Markt‘ eigen ist.“ Wo Luther bei seiner Bibelübersetzung keiner der vorhandenen Begriffe zu passen schien, habe er sich frei gefühlt, selbst ein neues Wort zu schaffen.
Getrennte Wege durch das Abendmahl
Wie es dazu kam, dass die im 16. Jahrhundert langsam zusammenwachsende protestantische Christenheit getrennte Wege ging, beschreibt Friedegard Föltz, Dozentin für Sozialpädagogik an der Theologischen Hochschule Friedensau, in ihrem Beitrag „Luther, Karlstadt und das Abendmahl“. Dr. Andreas Bodenstein von Karlstadt (1480?–1541) war Dekan der Theologischen Fakultät in Wittenberg, als er 1512 Martin Luther feierlich die Doktorwürde verlieh. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht ersichtlich, dass die Debatte über das Abendmahl dafür verantwortlich sein würde, dass zwei ehemals eng zusammenarbeitende Kollegen über dieser Auseinandersetzung zu erbitterten Gegnern wurden. Die Teilnehmer am Marburger Religionsgespräch 1529 konnten sich in 14 der 15 Artikel einigen, aber die entscheidende Frage um das Wesen und die Bedeutung des Abendmahls entzweite sie. Es dauerte fast 450 Jahre bis es 1973 durch die Leuenberger Konkordie bei diesem Thema eine Annäherung lutherischer, reformierter, unierter und vorreformatorischer Kirchen mit voller Abendmahlsgemeinschaft gab.
Adventisten und Reformation
Pastor Dennis Meier, Vorsteher der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, gibt einen Einblick in das internationale wissenschaftliche Symposium „Perceptions of the Protestant Reformation in Seventh-day Adventism“, das vom 9. bis 12. Mai 2016 in Friedensau in englischer Sprache stattfand. In drei Tagen wurden 18 Vorträge von adventistischen Historikern und Theologen aus den USA, Südamerika, den Philippinen und Europa präsentiert. Während der erste Teil des Symposiums die grossen Reformatoren Luther, Calvin und Zwingli im Fokus hatte, widmete sich der zweite zunächst der Tradition der Täufer, dem sogenannten „linken Flügel“ der Reformation. Am letzten Studientag wurde der Einfluss der Reformation auf die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten anhand von zwei kontroversen Perioden in der adventistischen Geschichte untersucht.
Luther und der Handel
Überlegungen zum „Stichwort: Luther und der Handel“ präsentiert der frühere Friedensauer Kanzler und jetzige Leiter Controlling bei der Adventistischen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA Deutschland, Roland Nickel. Der Reformator berichte beispielsweise in seiner Schrift „Vom Handel“ von Kaufleuten, die Monopole bilden wollten, um die Preise diktieren zu können. Folgender „Wahlspruch“ sei die Grundlage all ihrer Geschäfte: „Sie sagen: Ich kann meine Ware so teuer verkaufen, wie ich es vermag. Sie halten das für ihr Recht. Tatsächlich ist damit der Habsucht Raum gegeben.“ Um ihre Mitmenschen würden sie sich nicht kümmern. Luther bezeichne sie als „Diebe, Räuber und Wucherer“. Neben den Fragen von Monopol, Marktmacht und Preisbildung behandele Luther weitere Themen, wie Höhe der Zinsen, Kreditvergabe und Bürgschaften, Termingeschäfte und Leerverkäufe. Dabei stehe bei ihm immer der Mensch im Mittelpunkt, der Schwächere und der Ärmere in einer Handelsbeziehung, und nicht das Geschäft oder der Gewinn.
Ein adventistischer Bibelübersetzer und Ethnologe
Ein weiterer Artikel befasst sich mit dem adventistischen Missionar und Bibelübersetzer Ernst Kotz (1887-1944). Dr. Stefan Höschele, Dekan des Fachbereichs Theologie in Friedensau, schildert wie Kotz ab 1905 in den Pare-Bergen des heutigen Tansanias im Stammesgebiet der vom Christentum noch kaum berührten Wapare wirkte. Er erforschte das Chasu, auch Kipare genannt, die Sprache des Bantuvolkes, die bis dahin noch keinen schriftlichen Ausdruck gefunden hatte. 1909 veröffentlichte Ernst Kotz im Auftrag des Berliner Kolonialamtes die erste Grammatik dieser Sprache. 1913 war seine Übersetzung des Neuen Testamentes fertiggestellt. Sie wurde 1922 von der Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft in London gedruckt. Kotz interessierte sich als Ethnologe auch für das traditionelle Leben des Volkes und schrieb 1922 ein Buch über die Sitten und Gebräuche der Wapare in Ostafrika.
Die „Dialog“-Ausgabe ist im Internet zu finden unter:
http://www.thh-friedensau.de/downloads/20282/