Papst Benedikt XVI. bezeichnete am 27. September (Sonntag) in Prag die Historikergespräche über den böhmischen Reformator Jan Hus (um 1370-1415) als vorbildhaft für die Heilung vergangener Kirchenspaltungen. "Ich bete dafür, dass solche ökumenischen Initiativen Frucht tragen, nicht nur im Bemühen um die Einheit der Christen, sondern auch um das Wohl aller Europäer", sagte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche bei einem Treffen mit Vertretern der anderen christlichen Kirchen.
Der Papst bezog sich auf den internationalen Historikerkongress über Jan Hus, den der Vatikan im Jahre 1999 veranstaltet hatte. Bei diesem Symposium hatte der damalige Papst Johannes Paul II. zum Auftakt des Heiligen Jahres 2000 um Vergebung für die Leiden des Reformators Hus und seiner Anhänger gebeten. Wörtlich sagte Johannes Paul II. damals: "Heute, an der Schwelle zum Grossen Jubeljahr, fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde". Jan Hus war 1415 während des Konstanzer Konzils verurteilt und verbrannt worden.
Roger Etchegeray, emeritierter Kurienkardinal und seit 2005 Subdekan des Kardinalskollegiums, bestätigte in der Eröffnungsrede zum Hus-Kongress 1999, dass sich die katholische Kirche "auf dem besten Wege zu einer positiven Bewertung des Jan Hus" befinde. Hus sei "ein Verkünder und ein Mann des Evangeliums gewesen, ein Reformator der Kirche und ein Formator des tschechischen Bewusstseins," so der Kardinal.
Prager Demonstranten fordern Rehabilitierung von Jan Hus
Am 26. September (Samstag) hatten Demonstranten am Rande des Papstbesuchs in Prag eine Rehabilitierung von Hus verlangt. Als Benedikt XVI. die Kirche Sancta Maria de Victoria verliess, war an der Fassade des benachbarten Erziehungsministeriums ein Transparent mit der tschechischen und lateinischen Forderung "Benedikt XVI., rehabilitiere Jan Hus" zu sehen. Die Kirche Sancta Maria de Victoria erinnert an den Sieg der katholischen Liga über die protestantischen böhmischen Stände in der Schlacht am Weissen Berg im Jahr 1620.
Gerechtigkeit, Freiheit, soziale Verantwortung
Die Christen sind nach Worten von Papst Benedikt XVI. zur Ökumene verpflichtet, um "Europa seine Wurzeln in Erinnerung zu rufen". Ein europäisches Verständnis von Gerechtigkeit, Freiheit und sozialer Verantwortung sei vom christlichen Erbe geprägt, so der Papst in seiner Ansprache in der Prager Burg, die sich – kirchendiplomatisch an die "Vertreter der verschiedenen christlichen Gemeinschaften" richtete. Nachdrücklich wandte sich Benedikt XVI. gegen eine Verbannung des Christentums aus dem öffentlichen Leben.
Er bete darum, dass ökumenische Initiativen Frucht bringen, auch mit Blick auf das Wohl aller Europäer, sagte Benedikt XVI.: "Wenn Europa die Geschichte des Christentums vernimmt, hört es seine eigene Geschichte". Eine Rückbesinnung auf die christliche Vergangenheit des Kontinents belebe auch dessen Erwartungen für die Zukunft. Nach wie vor bildeten die christlichen Wurzeln die geistige und moralische Grundlage für einen Dialog mit anderen Kulturen und Religionen.
Besonders hob der Papst den Beitrag von Christen in sozialen und ethischen Fragen hervor. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa seien es nicht zuletzt Christen gewesen, die zum Aufbau eines gerechten politischen Gefüges beigetragen hätten. "Sie stehen weiterhin im Dialog miteinander, um neue Wege für gegenseitiges Verständnis, Mitwirkung am Frieden und Förderung des Gemeinwohls zu bahnen", betonte der Papst.
Entschieden kritisierte Benedikt XVI. Versuche, den Einfluss des Christentums im öffentlichen Leben zurückzudrängen. Dazu zählte er eine "künstliche Trennung des Evangeliums vom intellektuellen und öffentlichen Leben". Den Vorwurf einer schädlichen Wirkung der christlichen Lehre auf die Gesellschaft wies er zurück. Das Evangelium sei "keine Ideologie" und verfechte keine starren sozialen oder politischen Modelle.
Christen müssten der Gesellschaft offen begegnen und das anerkennen, was gut in ihr sei, so der Papst. Zugleich müssten sie aber auch den Mut haben, die Menschen zu einer radikalen Umkehr einzuladen, die sich aus einer Begegnung mit Christus ergebe. Das Evangelium nannte Benedikt XVI. eine "unvergängliche Wahrheit", die den sozialen und kulturellen Fortschritt des Kontinents geprägt habe und auch weiter prägen werde.
Werbung für die katholische Kirche
Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche nutzt seinen dreitägigen Besuch in Tschechien auch dazu, die Bürger des ehemals kommunistischen Landes wieder für die Kirche zu gewinnen. Jahrhunderte voller Religionskriege und vierzig Jahre kommunistischer Herrschaft haben Tschechien zu einem der weltlichsten Staaten Mitteleuropas gemacht. Viele Christen stehen der reformierten Kirche zudem näher als der katholischen. Weniger als drei Millionen der 10,5 Millionen Tschechen bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche.