Mit dem Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai zur Beschneidung befassen sich die Präsidenten des Nord- und Süddeutschen Verbandes der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, die Pastoren Johannes Naether (Hannover) und Günther Machel (Ostfildern bei Stuttgart), in ihrem Leitartikel in der Septemberausgabe der Zeitschrift „Adventisten heute“. Das Gericht hatte in seiner Entscheidung das grundgesetzlich geschützte Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf religiöse Selbstbestimmung gegenüber dem Recht auf Religionsfreiheit der Eltern und deren Sorge- und Erziehungsrecht bevorzugt.
Zu beobachten sei, so die beiden Geistlichen, dass in der Abwägung der Rechtsfragen das Individualrecht der einzelnen Person häufig einen höheren Stellenwert erhalte als die Ansprüche und Erwartungen des sozialen Umfeldes, etwa der Eltern oder einer Religionsgemeinschaft. „Das ist im Prinzip durchaus begrüssenswert.“ Wenn man bedenke, dass in Deutschland noch im 19. Jahrhundert staatliche Behörden eingegriffen hätten, wenn christliche Eltern aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung eine Kindertaufe ablehnten und sogar Zwangstaufen angeordnet worden seien, um die religiöse und öffentliche Ordnung wiederherzustellen, dann könne man nur froh sein, dass diese Zeiten vorbei seien. Das Kölner Urteil zeige nun allerdings in die Richtung des anderen Extrems. Jetzt könnten religiöse Aufnahmeriten vom Staat strafrechtlich unterbunden werden.
Das Landgericht Köln habe damit argumentiert, dass irreparable Veränderungen am Körper des Kindes vermieden werden sollten, bis der Junge in der Lage sei, selbst über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Den Eltern wäre zuzumuten, diesen Zeitpunkt abzuwarten. Die Begründung höre sich modern und aufgeklärt an. „Allerdings müsste in diesem Zusammenhang dann ehrlicherweise auch über die Taufe von Säuglingen beziehungsweise Kleinkindern nachgedacht werden. Dabei entscheiden ja ebenfalls Eltern über die Kirchenzugehörigkeit ihrer Kinder“, geben die beiden Freikirchenleiter zu bedenken.
Doch es tauchten weitere Fragen auf: Wenn schon die körperliche Unversehrtheit des Kindes neben dessen Wahlfreiheit hervorgehoben werde, müsste man dann nicht auch verbieten, kleinen Mädchen Ohrlöcher zu stechen oder Kinder so zu ernähren, dass sie schon Altersdiabetes vor Erreichung des Jugendalters haben? Und wie sei es mit der verbreiteten Gewohnheit, kleine Kinder einfach vor den Fernseher zu setzen? Die Frage, wie tief eine Erziehung, ob religiös oder nicht, in die geistige und psychische Entwicklung eines Kindes eingreife, sei doch berechtigt. Wirke sie nicht sehr viel folgenreicher auf das Kind ein als eine körperliche Beschneidung? Wäre in Zukunft vielleicht auch damit zu rechnen, dass Kinder nicht mehr zu einem Gottesdienst mitgenommen werden dürften, weil das ihre Wahlfreiheit beschneide?
Die Pastoren Naether und Machel verweisen auf Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach weltweit zwischen einem Sechstel und einem Drittel aller Männer beschnitten seien. Negative Auswirkungen auf ihre Sexualität wären dadurch nicht feststellbar. Die WHO empfehle die Beschneidung sogar als präventive Massnahme gegen die Verbreitung von AIDS. Christen würden aufgrund neutestamentlicher Aussagen keine Beschneidung aus religiösen Gründen praktizieren. Dennoch begrüssten die beiden adventistischen Freikircheneiter das Schreiben des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) an die Bundeskanzlerin, „mit Nachdruck den Gesetzgeber zu bitten, hier für Rechtsklarheit und Schutz der Menschen in unserem Land zu sorgen, die eine Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen in ihrer elterlichen Sorge als eine dem Wohl des Kindes zuträgliche Entscheidung verantworten“.